Christen in Bedrängnis
Verfolgt und vergessen
Sie werden diskriminiert, bedroht, gefoltert. Christen sind die größte Gruppe, die wegen ihres Glaubens leiden muss. Uwe Heimowski, Beauftragter der Evangelischen Allianz am Sitz der Bundesregierung, gibt regelmäßig das "Jahrbuch zur Religionsfreiheit" mit heraus. Benjamin Lassiwe hat mit dem Geraer Theologen gesprochen.
Wie schätzen Sie die Lage der Religionsfreiheit weltweit ein?
Uwe Heimowski: Im November 2021 hat die Evangelische Allianz einen Kongress zur weltweiten Christenverfolgung mitveranstaltet. Dort gab es aktuelle Berichte aus vielen Ländern der Welt. Die übereinstimmende Einschätzung ist, dass die Lage der Religionsfreiheit sich noch einmal verschlimmert hat. Wenn wir allein auf die Situation der Christen schauen: In den vergangenen Jahren wurde davon gesprochen, dass 200 Millionen Christen wegen ihres Glaubens diskriminiert und verfolgt wurden.
Mittlerweile gibt es seriöse Schätzungen, die von deutlich über 300 Millionen ausgehen. Das geht vom Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben bis zu Vergewaltigungen und Mord. Und – was wichtig ist – so etwas erleben nicht nur Christen: Auch die muslimischen Uiguren in China, Bahai, Ahmadi und andere Gruppen sind von Verfolgung betroffen. Es wird generell gefährlicher, sich zu einer Religion zu bekennen.
Wo ist die Lage am Schlimmsten?
Seit Jahren bekannt ist ja die Situation in Nordkorea, wo wirklich brutal mit jeder Form von Minderheit umgegangen wird. Verschärft hat sich die Lage in China infolge der Coronamaßnahmen, wo der Staat technische Geräte zur Überwachung einsetzt. Die Menschen werden mit Trackern überwacht, so kann man feststellen, wer etwa in einen Hauskreis geht.
Aber unterscheidet sich da die Lage der Christen von der der Gesamtbevölkerung?
In China wird generell überwacht. Bestraft wird man aber, wenn man etwa in eine Hauskirche und nicht in eine Gemeinde der staatlichen Drei-Selbst-Kirche geht. Diese Christen werden als „westlich“ angesehen, und die kommunistische Führung glaubt, dass alles, was Christen im Land machen, für sie gefährlich ist.
Weiter verstärkt hat sich die Verfolgung übrigens auch in Indien, gerade auch durch Corona. Das ist oft mit sozialen Aspekten verbunden. So wurde beispielsweise der „Good Shepherd Church“ unterstellt, dass sie Corona-Treiber sei, weil sie unter indischen „Unberührbaren“ arbeitet. Mehr als 80 Fälle von Übergriffen durch Mobs sind allein durch diese Kirche dokumentiert.
Und dann erleben wir massive Diskriminierung von Christen und anderen Minderheiten in Afrika südlich der Sahara, wo sich islamistische Strömungen ausbreiten. Eines der Länder, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist Nigeria.
Von dort kommt der amtierende Präsident des Lutherischen Weltbundes – hilft das den Christen dort?
Nigeria ist mittlerweile im Fokus. Wenn ich zehn, fünfzehn Jahre zurückblicke: Damals hat der Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich (CDU) noch eine tausendseitige Dokumentation von einer Reise mitgebracht, in der aufgelistet war, welche Kirchen und Moscheen abgebrannt wurden. Damals hatte kaum jemand Nigeria im Blick. Heute – und das hat sicher auch mit dem Präsidenten des LWB zu tun – ist Nigeria im Fokus.
Man muss aber leider auch sagen: Wenn ein Land besonders in den Fokus genommen wird, verschwinden andere. Aus dem Jemen beispielsweise, wo es keine Prominenten und keine Presse gibt, erfahren wir so gut wie gar nichts.
Wie bewerten Sie das Engagement der Bundesregierung beim Thema Religionsfreiheit?
Die alte Bundesregierung hat sich dieses Themas sehr prominent angenommen. Volker Kauder (CDU) und Andrea Nahles (SPD) hatten 2017 im Koalitionsvertrag die Stelle des Beauftragten für Religionsfreiheit neu geschaffen. Markus Grübel kannte man damals überhaupt nicht im Zusammenhang mit diesem Thema, er war Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Er hat sich aber sehr schnell eingearbeitet und einen sehr guten Bericht zur Lage der Religionsfreiheit vorgelegt. Darin wurden etwa die Themen Konversion und Blasphemiegesetze beschrieben. Dadurch wurden die Berichte der Hilfswerke wie „OpenDoors“ oder „Kirche in Not“ bestätigt und noch einmal anders wahrgenommen.
Aber es wird trotzdem nicht verhindert, dass Konvertiten aus Deutschland in den Iran oder nach Afghanistan abgeschoben werden.
Leider nicht. Das haben wir auch mehrfach öffentlich angeprangert, und es bleibt ein riesengroßes Problem.
Hätten Sie da noch mehr Einsatz von der alten Bundesregierung erwartet?
Ich verstehe das Dilemma der Politik: Wenn Gerichte urteilen, darf Politik nicht eingreifen. Dass Politiker ein Gerichtsurteil nicht einfach aufheben können, ist in unserem Rechtsstaat ein gutes Zeichen. Allerdings hätte die Politik noch stärker in den Regularien, in den Richtlinien für Behörden, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, tätig werden können. Aber da hatte ein Volker Kauder natürlich eine politische Spannung zum Innenministerium. Da hieß es dann, man könne ja keine Ausnahme machen für Konvertiten.
Allerdings hat jeder, der gefährdet ist und politisch verfolgt wird, ein Recht auf Schutz – das gilt auch für Konvertiten, die in Staaten mit Blasphemiegesetzen abgeschoben werden. An dieser Stelle hätte ich mir deutlich mehr gewünscht.
Und wie sieht es mit der neuen Bundesregierung aus?
Wir haben sehr laut dafür geworben, dass das Amt des Beauftragten weitergeführt wird. Danach sah es lange nicht mehr aus. Im Koalitionsvertrag kam der Beauftragte für Religionsfreiheit nicht vor. Jetzt hat Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze Frank Schwabe in dieses Amt berufen. Und das ist erst einmal ein Grund, sich zu freuen.
Ich selber kenne Frank Schwabe seit langem als leidenschaftlichen, engagierten Menschenrechtler, der auch sehr energisch werden und mal auf den Tisch hauen kann. Beim Thema Religion ist er bislang nicht aufgefallen, aber die Erfahrung bei Markus Grübel war: Das war keiner der „üblich verdächtigen Frommen“, aber er hat sich hervorragend eingearbeitet – und warum sollte Frank Schwabe das nicht auch hinbekommen?
Lassen Sie uns noch einen Blick aufs Inland werfen: Immer wieder gibt es christliche Gruppen, die in Deutschland von „Christenverfolgung“ reden, weil ihnen bestimmte Positionen nicht passen. Wie sehen Sie das?
Es gibt eine zunehmende Tendenz in unserer Gesellschaft, unbequeme Positionen als politisch nicht korrekt abzustempeln. Wer für sich zu der Einsicht kommt, sich nicht impfen zu lassen, ist schnell Querdenker oder Impfgegner.
Wenn Russlanddeutsche eine Theologie haben, in der Frauen nicht predigen dürfen, wird ihnen gesagt, sie unterdrücken ihre Frauen. Oder wenn konservative Christen sagen, wir verstehen die Ehe als eine Beziehung zwischen Mann und Frau, werden sie als homophob abgestempelt. Das ist unbequem und fühlt sich mitunter durchaus wie Verfolgung an.
Aber: Eine systematische Christenverfolgung gibt es in Deutschland nicht. Im Gegenteil: Ich hatte in der ganzen Corona-Diskussion immer den Eindruck, dass sich die Politik wirklich darum bemüht hat, Gottesdienstbesuche zu ermöglichen.
Ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass Christen von staatlicher Seite in Deutschland benachteiligt werden. Das Gefühl, politisch unbequeme Positionen nicht mehr sagen zu können, wird stärker – aber das ist keine Christenverfolgung.
Tut man mit so einer Positionierung möglicherweise auch den Christen in Ländern, in denen wirklich Verfolgung herrscht, Unrecht?
Das tut man in der Tat. Denn im Grunde genommen haben wir doch den Luxus, dass unser Glauben durch das Grundgesetz geschützt ist. Wir haben Bekenntnisfreiheit, können unsere Spenden an die Kirchengemeinden von der Steuer absetzen, haben Religionsunterricht oder können freie Bekenntnisschulen gründen.
Wer dann an Menschen denkt, die wegen ihres Glaubens vergewaltigt werden, die nicht heiraten dürfen, weil sie nicht die richtige Religion im Pass haben –, dem muss es fast zynisch erscheinen, wenn wir hierzulande von Verfolgung sprechen. Wir sollten lieber unsere Freiheit nutzen und uns für die wirklich Verfolgten einsetzen.
Autor:Online-Redaktion |
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