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Antisemitismus in der DDR und die Folgen des Feindbildes Israel
»Verzwergung« des Völkermords

Außenansicht der Synagoge in Halle. | Foto:  epd-bild/Steffen Schellhorn
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Mit dem Antisemitismus in der DDR hat es eine eigene Bewandtnis. Im vorliegenden Buch wird diese theoretisch und exemplarisch zu erfassen versucht. Dessen Grundthese ist: Antisemitismus »als offene Diskriminierung, gar als brachiale Gewalt und Verfolgung« gab es in der DDR nicht. Israel aber galt als Feindstaat, der Antizionismus war Teil der Staatsdoktrin und die antizionistische Propaganda war voller antisemitischer Stereotype.
Fast abenteuerlich zu lesen sind zwei Beiträge zum Israelbild in Kinder- und Jugendzeitschriften der DDR und im »Schwarzen Kanal«: Am Beispiel einer Geschichte von 1984 über den »Feuerdrachen Zion« in der »ABC-Zeitung« geht es um »offenen Antisemitismus im Märchengewand«. Zudem wird Karl Eduard von Schnitzlers Daueragitation analysiert. Grundtenor: Israel sei heute so schlimm wie die Faschisten einst.
Den SED-Staat als Gegenüber der jüdischen Gemeinden und als Urheber antizionistischer Kampagnen fokussieren drei weitere Untersuchungen. Herausgearbeitet wird, wie stark die jüdischen Gemeinden dem Druck des Staates ausgesetzt waren: Vom Vorwurf des »Kosmopolitismus« bis zur Zumutung, sich öffentlich gegen den Staat Israel und dessen Politik zu stellen. Das blieb nicht ohne Wirkung auf die Positionierung von Juden in der abgeschotteten DDR. Diese reichte von offiziellen Ergebenheitsadressen über deren Verweigern bis hin zu Protest.
Anschaulich wird auch die tatsächliche Schwäche der jüdischen Gemeinden. Am Ende der DDR zählten diese landesweit noch 400 Mitglieder. Nur wenige Fakten dazu: 1965 konnte ein ungarischer Oberrabbiner im Auftrag der Stasi für vier Jahre die religiöse Leitung der Gemeinden übernehmen. In der jüdischen Gemeinde in Halle/Saale amtierte jahrzehntelang eine Vorsitzende, die keine Jüdin war. Verwaiste jüdische Friedhöfe verwahrlosten, Schändungen wurden relativiert und geheim gehalten. Öfter gestaltete man jene auch – die jüdische Begräbniskultur ignorierend – zu Gedenkstätten für die »Opfer des Faschismus« um.
Fazit der Lektüre: Nach dem Holocaust entstand in der DDR ein Gemisch aus Antisemitismusleugnung und Israelfeindschaft. Dabei führte der Faschismus-Zionismus-Vergleich zu einer »Holocaustverzwergung«. Psychologisch ist hier von Täter-Opfer-Umkehr, Schuldprojektion bzw. -abwehr und Tabuisierung zu sprechen.
Kritikpunkte gibt es zwei: Erstens: Der Umgang mit dem Judentum im Raum der Kirchen kommt viel zu kurz. Nur nebenbei ist etwa zu erfahren: Die Protestschreiben gegen das Märchen vom »Feuerdrachen Zion« kamen primär aus »dem kirchlichen Milieu, namentlich aus der AG Judentum und Christentum in der Evangelischen Kirche«. Auch war zum Beispiel Konrad Weiß, der die »Erklärung der Volkskammer als Bekenntnis der Schuld gegenüber den Juden anregte und verfasste«, nicht nur Bürgerrechtler sondern hochaktiv in der »Aktion Sühnezeichen«. Wenn es um den »Antisemitismus in der DDR« geht, dann muss auch von gegenläufigen Entwicklungen im Lande die Rede sein – nicht zuletzt vom jüdisch-christlichen Dialog.
Zweitens: Insofern die Publikation die heutigen Folgen des DDR-Feindbildes Israel belegen wollte, gesteht der Herausgeber ein: Diese seien »nicht mehr exakt messbar«, aber »vorhanden und spürbar«. Eine Umfrage von 2016 zeigt diese Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. »Klassischer Antisemitismus: Ost 7 Prozent; West 5 Prozent; israelbezogener Antisemitismus: Ost 29 Prozent; West 22 Prozent.« Reichen diese Differenzen aus? Das Buch liefert etliche Argumente für die Langzeitwirkung des spezifischen DDR-Antisemitismus. Sie insgesamt schlüssig zu belegen gelingt ihm nicht.

Sebastian Kranich, Direktor der Ev. Akademie Thüringen

Benz, Wolfgang (Hrsg.): Antisemitismus in der DDR. Manifestationen und Folgen des Feindbildes Israel. Metropol Verlag 2018, 275 S., ISBN 978-3-86331-436-1, 19 Euro

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Online-Redaktion

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