Nachgefragt
Von Großvargula zum Weltrat
Mitteldeutschland im Weltkirchenrat: Lydia Fellmann ist Delegierte bei der Vollversammlung des ÖRK. Mit der Pfarrerin aus Großvargula (Kirchenkreis Mühlhausen) sprach Susanne Sobko.
Wie wird man Delegierte?
Lydia Fellmann: Die Kontingente der Kirchen setzen sich nach Kriterien zusammen, darüber hinaus gibt es Listen für zusätzliche Plätze, für die ich vorgeschlagen wurde. So hat es geklappt – ich vermute auch deshalb, weil ich jung und weiblich bin, zur Bewerbung nicht ordiniert war und einen ostdeutschen Background habe. Ich finde Diversität gut, damit nicht nur Entscheidungsträger dabei sind.
Was hat Sie prädestiniert?
Ich bin einfache Dorfpfarrerin und bisher organisatorisch nicht ökumenisch tätig. Aber ich habe eine große Neugierde in diese Richtung und viele Kontakte ins Ausland. Vor allem nach Tschechien, weil ich dort studiert habe.
Warum haben Sie dort studiert?
Weil unsere protestantische Theologie auf Deutschland konzentriert ist und ich es wichtig finde, über den Tellerrand hinaus zu schauen und neue Pers-pektiven kennenzulernen statt „im eigenen Saft zu schmoren“. Ich stamme aus der Nähe von Herrnhuth, wo die Brüdergemeine mit ihrer Nähe zu den Böhmischen Brüdern aktiv ist, das fand ich immer schon spannend, dazu kam die Grenznähe. So hat mich die tschechische Theologie interessiert.
Wie waren Ihre Erfahrungen?
In Tschechien sind wir viel deutlicher Minderheitskirche, und es gibt ein anderes Selbstverständnis. Man muss wissen, dass es den Kirchen in der CSSR wesentlich schlechter als bei uns ging. So hatten viele Professoren eine Zweitprofession und haben Gemeinden ehrenamtlich geführt. Und manche Pfarrer bekamen nach der Hochzeit den Einberufungsbefehl in Sumpf-Lager als eine Art Strafdienst … Solche Erfahrung ist prägend für eine Kirche. Dazu gibt es durch die Vorreformatoren ein anderes Bewusstsein zur Reformation.
Was hat Sie besonders beeindruckt?
Ich fand die originellen Ansätze und theologischen Reflektionen spannend. Zum Beispiel gibt es viel mehr Kooperation, wie zur Kirche der Böhmischen Brüder, EKBB, und zur Heilsarmee. So wurde im Winter in Prag darauf aufmerksam gemacht, wie viele Meschen auf der Straße leben, indem Christen auf der Straße campiert und Essen ausgeteilt haben. Das fand ich sehr lebensbezogen. Zudem hat mir gefallen, dass das frühchristliche Abendmahl gefeiert wird, mit Friedenskuss und gemeinsamem Essen, das ist ganz anders als stehend im Kreis trockene Oblaten zu bekommen. Dadurch entsteht ein viel stärkeres Gemeinschaftsgefühl.
Wie wichtig sind solche Treffen wie die ÖRK-Vollversammlung?
Ich finde sie zum einen wichtig, um zu zeigen, was es für christliche Vielfalt mit verschiedenen Frömmigkeiten gibt. Mehr als 4000 Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern – das ist ja auch ein Glaubens- und nicht nur ein Entscheidungstreffen!
Christen bei uns – da denke ich zuerst an ältere, gutbetuchte Leute, die Sonntag früh in der Kirche sitzen, aber weltweit sind sie meist eher jung und arm, und vieles ist ganz anders. Zum Beispiel beim Vortreffen war jemand aus Pakistan, da geht man mit gelebtem Glauben ein Risiko ein, manche Christen begeben sich sogar in Lebensgefahr dafür. Allein für solche Erfahrungen und die Dialog-Möglichkeit ist die Versammlung ein Riesen-Schatz.
Zum anderen?
Gerade jetzt, wo wir Ausschlussdebatten wie mit Russland haben, finde ich es gut, dass eine russische und eine ukrainische Delegation dabei sind. Wir sollten zeigen, dass Konflikte über Gespräche gelöst werden können – auch wenn es Streit gibt. Aber ansonsten können wir gar nichts ändern. Zudem sollte uns klarer werden, dass der Westen mit seinem übersteigerten Lebensstil die Ressourcen der Welt aufbraucht. Es fällt uns leicht, in Russland das Böse zu sehen, aber wo wir selbst schuldig wer-den, das muss auch diskutiert werden!
Was soll die Versammlung bewirken?
Ich wünsche mir ein klares Statement zum Thema Macht in den Kirchen. Dabei geht es um sexualisierte und jede andere Gewalt ebenso wie um den Abbau von Hierarchien. Wobei wir sie uns erstmal bewusst machen und in unseren Kontexten hinterfragen müssen. Wir sollten unseren Institutionen viel mehr auf die Finger gucken, wo ein Umdenken nötig ist. Auch für die Kontroverse Israel und Palästina wünsche ich mir Statements – hier darf der Dialog nicht abreißen, darf es keine Überfokussierung geben. Schön wäre es auch, wenn wir mehr Verständnis für andere Kirchen und andere Frömmigkeiten bekommen.
Fehlt uns der Respekt für das Andere?
Es ist wohl noch das koloniale Erbe, dass wir meinen zu wissen, wie das Christentum richtig ist. Wir halten uns für rational und sind zu sehr mit uns beschäftigt, und da meinen manche, dass Eingeborene nur folkloristisch rumtanzen, statt zu sehen, dass das auch gelebter Glaube ist. Andersherum gibt es manche, die meinen, dass wir gar kein Glaubensleben mehr haben und sie uns remissionieren müssen. Wir könnten alle viel voneinander lernen, wenn wir uns mehr auf die andere Seite einlassen.
Auf was freuen Sie sich besonders?
Auf den Austausch mit Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Frömmigkeitsformen. Ich denke, da kann ich noch viel lernen. Wir werden verschiedene Schwerpunktgemeinden und Seelsorgefelder kennenlernen, etwa bei Klosterbesuchen und Einblicken in die Seelsorgearbeit in einem Freizeitpark.
Wie kann das Treffen in den Alltag strahlen?
Sicher besonders in die Gemeinden, die besucht werden. Ansonsten kommt es auf die mediale Berichterstattung an, aber ich befürchte, dass wir zwischen allen Konflikt-Themen kaum Platz finden, weil wir keine reißerischen Schlagzeilen haben. Dabei ist es so wichtig, dass wir Strahlkraft und Breitenwirkung finden.
Gut finde ich auch, dass beispielsweise die Landeskirche Württemberg Multiplikatoren entsendet, die dann in den Gemeinden berichten. Ob es konkrete Ergebnisse gibt, die zudem international respektiert werden, kann ich nicht einschätzen.
Aus "EKM intern"
Autor:Online-Redaktion |
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