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Was für ein Leben!
Von Hartmut Walsdorff
Auf der Seite 3 steht der bewegende Bericht über eine Dame, die ihr 85. Konfirmationsjahr feiern konnte. Äußerst selten, gewiss. Ich will das auch nicht toppen. Aber mir steht Katharina Schwinger wieder vor Augen.
Ich war drei Jahre alt, als einer meiner vier älteren Brüder und ich zu Tante Käthe in den ersten, kurz nach Kriegsende von den West-Alliierten genehmigten kirchlichen Kindergarten in Berlin-Lichterfelde kamen. Als Halbwaisen. Andere Kinder waren Vollwaisen, die sagten „Mutter“ zu Tante Käthe und wohnten bei ihr. Eine liebevolle, gerechte und humorvolle Erzieherin war sie.
Wir beide mochten uns, wir nahmen uns gegenseitig auf den Arm. Zuerst sie den kleinen Schlingel. Später durfte ich sie auf den Arm nehmen, denn am liebsten lachte sie. Ein Leben lang sind wir im Kontakt geblieben. Ihr Leben lang.
Was für ein Leben! Als Tante Käthe bereits 103 Sommer und Winter hinter sich hatte, flatterte ihr eine Einladung aus Dresden ins Heim: Man hatte sie als älteste noch lebende Konfirmandin der Frauenkirche ausfindig gemacht. Nun bat man sie als Ehrengast zur Weihe des wiedererbauten Gotteshauses.
In dieser Kirche war Tante Käthe unglaubliche 90 Jahre zuvor eingesegnet worden. Sie ließ sich also freudig nach Dresden bringen. Überglücklich saß sie dort in ihrem Rollstuhl mitten in der großen Festgemeinde mit all den erlauchten Staats- und Ehrengästen. Nicht einer von denen konnte mithalten mit ihrem Erinnern an die 90 Jahre zuvor hier gefeierte Konfirmation.
Zurück in Berlin, zehrte Tante Käthe von diesem Erlebnis. Noch drei weitere Jahre. Erst mit 106 Jahren verkündete sie: „Nu reicht’s“ und entschlief bald friedlich.
Der Autor ist Pfarrer i. R. und lebt in Berlin.
Autor:Online-Redaktion |
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