Ukraine
"Wir wollen, dass der Krieg zuende ist"
Vor zehn Jahren hat Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert, seit zwei Jahren führt das Land offen einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Eine Berliner Kirchengemeinde gewährt seitdem Flüchtlingen von dort Unterkunft.
Von Yvonne Jennerjahn (epd)
Betten im Gemeindesaal, Lagerräume in der Jugendetage, Kleiderspenden im Erdgeschoss: Die evangelische Markusgemeinde in Berlin-Steglitz beherbergt seit zwei Jahren Flüchtlinge aus der Ukraine. Zwischen 40 und 50 Menschen leben dort derzeit. Wie viele Flüchtlinge seit dem russischen Angriff auf das Land im Gemeindehaus schon untergekommen sind, weiß keiner so genau. Viele hundert auf jeden Fall, erzählt Pfarrer Sven Grebenstein. Genaue Zahlen gebe es nicht, weil sie am Anfang nicht erfasst worden seien.
Die Gemeinde habe damals beschlossen, Flüchtlinge in Not aufzunehmen, sagt der 44-jährige Theologe: „Wir hatten da gar nichts geplant.“ Viele Flüchtlinge seien zu Beginn nur kurz geblieben, manchmal nur eine Nacht, und dann weitergereist, zu Verwandten, in andere Länder, Mexiko, Türkei, USA. „Es war ein Kommen und Gehen“, sagt Grebenstein.
Inzwischen wohnen die Flüchtlinge aus der Ukraine weit länger in den Räumen der Markusgemeinde, auch weil der Wohnungsmarkt in Berlin angespannt ist. Der Gemeindesaal ist jetzt mit Grobspanplatten in vier abgetrennte Bereiche aufgeteilt. In einem davon lebt seit rund einem Jahr Krystina Lishchenko mit Mann und Kind.
Die 25-jährige Tanzlehrerin hat sich auf den Boden gehockt und bürstet ihrer zweijährigen Tochter die Haare. Ihr Heimatort Krivyj Ryh sei schwer bombardiert worden, erzählt die zierliche Frau über ihren Entschluss, die Ukraine zu verlassen. Ihr Mann sei aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee ausgemustert worden und habe deshalb auch ausreisen dürfen.
Auch ihre Mutter und ihre jüngere Schwester haben acht Monate im provisorischen Zuhause im Gemeindehaus gelebt. Doch nun sind sie in die Ukraine zurückgekehrt, weil die Schwester unter der fremden Umgebung gelitten hat. „Jetzt schreiben sie uns dauernd Nachrichten, dass das eine falsche Entscheidung war“, sagt Krystina Lishchenko: „Mein größter Wunsch ist, dass der Krieg vorbei ist.“
Die Schicksale der Flüchtlinge aus der Ukraine gehen allen nahe. Die Gemeinde hat zwei Frauen und zwei Männer angestellt, um sie zu betreuen. Der 62-jährige Russlanddeutsche Michael Zwilling ist einer von ihnen. Er erzählt von einem schwerkranken Profisportler, der seine Krebsbehandlung in Berlin fortsetzen konnte. Von kranken Geflüchteten, die inzwischen gestorben sind. Von einem kleinen Jungen, der seine Schildkröte aus der Ukraine in einem Wassereimer mitgebracht hat.
Nicht nur das Leben im Gemeindehaus, auch die Hilfsbereitschaft hat sich verändert. Anfangs habe es ein „gigantisches Spendenaufkommen“ gegeben, erzählt Pfarrer Grebenstein. Mit Energiekrise und Inflation sei dann ein Rückgang um die 95 Prozent einhergegangen. Doch von vielen Seiten komme weiter Hilfe, sagt er: „Die Friseurin um die Ecke schneidet bis heute kostenlos Haare.“ Der Optiker in der Nähe helfe mit Brillen zu fairen Preisen. Das Bezirksamt habe Refinanzierungsmöglichkeiten für jeden Gast geschaffen.
Die Gemeinde will auch weiter Flüchtlinge beherbergen, trotz Drohmails, die vor einiger Zeit vermutlich aus Russland geschickt wurden, und trotz finanzieller Schwierigkeiten. „Wir haben inzwischen ein Defizit von rund 400.000 Euro“, sagt der Pfarrer. Er hoffe deshalb auf einen Vertrag mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, um die Finanzierung der Unterkunft abzusichern.
In einem Aufenthaltsraum sitzt Olexandra Bondar mit ihrer dreijährigen Tochter an einem Tisch. Die 40-jährige Druckereifachkraft aus Kiew lebt seit gut einem Jahr mit der Tochter und dem inzwischen 18-jährigen Sohn im Gemeindehaus. Der Sohn habe damals die Bombenangriffe nicht mehr aushalten können, erzählt sie. Deshalb sind sie geflüchtet. „Wir wollen, dass der Krieg zuende ist“, sagt sie: „Wir wollen nichts anderes.“
Autor:Online-Redaktion |
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