Rückblick
70 Jahre Israel
Nacherzählt: Die Grenzen menschlicher Lebensdauer und Erinnerung lassen nach
70 Jahren aus der erlebten Geschichte oft eine mehr aus der Erzählung bekannte Geschichte werden.
Von Timotheus Arndt
Der Staat Israel wurde am Freitag, dem 5. Ijjar 5708, zugleich 14. Mai 1948, ausgerufen. Der bevorstehende Sabbat, die Monatsmitte, war für das Ende der britischen Mandatsverwaltung bestimmt. Mit Rücksicht auf den Sabbat wurde der jüdische Staat am Tage zuvor ausgerufen. 70 Jahre später liegt der 5. Ijjar dreieinhalb Wochen vor dem 14. Mai. Um dem Sabbat nicht zu nahe zu kommen, wurde in Israel schon am 4. Ijjar gefeiert.
Die damals verlesene Unabhängigkeitserklärung nennt die historischen Voraussetzungen und kulturellen Grundlagen für die Staatsgründung: die jahrtausendealte Verbindung des jüdischen Volkes mit dem Lande Israel, das neuzeitliche Streben zur Bildung von Nationalstaaten, das die von Theodor Herzl angeregte zionistische Bewegung auf das jüdische Volk anwandte; die Anerkennung des Rechts auf eine jüdische Heimat im Land Israel, das zunächst durch die britische Regierung in der Balfour-Erklärung von 1917 und dann durch die Aufnahme dieser Erklärung in das Völkerbundsmandat von 1922 festgeschrieben wurde.
Schließlich beruft sich die Erklärung auf die Verpflichtung zur Errichtung eines jüdischen Staates durch den Beschluß der Vereinten Nationen von 1947, das britische Mandat zu beenden. Dazwischen liegt die Ermordung der meisten europäischen Juden durch das nazistische Deutschland und der Zweite Weltkrieg.
Diese Vernichtung hat auch den Aufbau der jüdischen Heimstätte in Palästina hart getroffen. Die Unabhängigkeitserklärung nennt den nazistischen Judenmord als erneuten Nachweis, wie sehr ein jüdischer Staat gebraucht würde. Indem sich palästinensische Juden am Kampf der Alliierten gegen die Nazis beteiligten, haben sie sich einen Platz im Völkerbund errungen, so die Unabhängigkeitserklärung. Den Anspruch des jüdischen Volkes auf seinen eigenen Staat betrachtet sie als sein natürliches Recht. Juden, die vor den Nazis flohen, stand jedoch kein Land offen, nicht einmal das Land Israel als britisches Mandatsgebiet Palästina.
Diese Erfahrung hat zum einen das Asylrecht insgesamt beeinflußt. Vielmehr aber sieht sich der Staat Israel verpflichtet, eine Zuflucht für Juden mit allen verfügbaren Machtmitteln zu garantieren. Für sie folgte aus der Schoa: Wir werden nie wieder die Opferrolle übernehmen.
In seinen ersten Jahren nahm Israel Überlebende aus Europa und Flüchtlinge aus muslimischen Ländern auf. Später integrierte es weitere jüdische Einwanderer, wie z. B. vom Hunger bedrohte Juden aus Äthiopien oder Juden aus der untergegangenen Sowjetunion.
Die Traumata der Schoa und mehr Verständnis für die Nöte der Überlebenden, brachte erst der Eichmann-Prozeß 1961 zur Sprache. Beziehungen zu Deutschland waren anfangs vor allem auf wirtschaftlichen Austausch gegründet. Dazu gehörten Leistungen zur sogenannten materiellen Wiedergutmachung. 1965 nahmen beide Staaten diplomatische Beziehungen auf. Skepsis blieb gegenüber Deutschen, die bei den Nazis mitgemacht haben könnten. Später fragte man nach der Geschichte, nach dem Leid auf der einen Seite, nach Schuld auf der anderen. Jugendliche aus Deutschland nahmen Kontakt zu Überlebenden in Israel auf. Israelis besuchten, manchmal mit ihren Eltern oder Großeltern, deren frühere Wohnorte.
Die Errichtung des jüdischen Staates Israel verwirklicht den Beschluss der Vereinten Nationen vom 29. November 1947 nur zu einem Teil. Die arabischen Nachbarn erkannten diesen Beschluss nicht an und verzichteten infolgedessen auf ihren Teil der Umsetzung, indem sie selbst in den von ihnen besetzten Teilen des ehemaligen Mandatsgebietes weder einen arabischen Staat gebildet haben, noch den von ihnen besetzten Teil der Altstadt Jerusalems internationalisierten.
Der neue Staat Israel hielt sich wider Erwarten im Unabhängigkeitskrieg 1948 bis 1949. Das transjordanische Königreich annektierte die von ihm eroberten westjordanischen Gebiete (Westbank) samt der Jerusalemer Altstadt und nannte sich künftig Jordanien. Ägypten besetzte den Gazastreifen. Die Vereinten Nationen organisierten Lager für die arabischen Flüchtlinge und übernahmen deren Versorgung.
Im Krieg mit Ägypten, Syrien und Jordanien 1967 eroberte Israel die syrischen Golanhöhen, die jordanische Westbank, den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel. Nach dem Krieg mit Ägypten und Syrien 1973 schloss Ägypten 1979 mit Israel Frieden, erhielt die Sinaihalbinsel zurück und verzichtete auf den Gazastreifen.
1993 sah selbst der Heilige Stuhl die Forderung nach einer Internationalisierung Jerusalems nicht mehr als Hindernis für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staate Israel. Jordanien verzichtete im Friedensschluss mit Israel 1994 auf die Westbank und behielt sich nur die Aufsicht über die muslimischen Heiligtümer in Jerusalem vor.
1993 hatten stille Verhandlungen in Oslo zu einem Abkommen mit den palästinensischen Behörden geführt. Die folgende Aufbruchstimmung wurde von Extremisten auf beiden Seiten zerstört. Nachdem der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen 2005 von der neuen palästinensischen Kraft Hamas als ihr Erfolg und die Schwäche Israels interpretiert wurde, gibt Härte in diesen Beziehungen den Ton an. Während Russland und China ohne Aufsehen Westjerusalem als Hauptstadt Israels anerkannten, geschah die Umsetzung des US-Kongress-Beschlusses durch Donald Trump unter großer Beachtung.
Die Reaktionen darauf zeigten, sagt der israelische Historiker Tom Segev, dass es bei der Diskussion um Jerusalem, »um Symbolik, Emotionen, Glaube und viele Worte und Fiktionen« gehe, »die nur im Glauben Wirklichkeit haben«. Dass dieser »Konflikt um Identität« zwischen Israelis und Palästinensern noch lösbar sei, daran würden seiner Ansicht nach beide Seiten nicht mehr glauben: »Einfach deshalb, weil es keine israelische Regierung geben kann, die Jerusalem aufgeben wird und weil es keine palästinensische Regierung geben kann, die Jerusalem aufgibt.« Jerusalem sei ein Problem, das keine endgültige Lösung habe: »Es ist seit 3 000 Jahren schon ein Problem, das nur gemanagt werden kann.«
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle Judentum der
Universität Leipzig.
Autor:Online-Redaktion |
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