Blickwechsel
«Das alte Belarus wird es nicht mehr geben»
Für den lutherischen Pastor Wladimir Tatarnikow aus Grodno in Belarus steht außer Frage, dass er sich als Christ mit den Verfolgten in seinem Land solidarisieren muss. «Wir können nicht schweigen, wenn die Regierenden demokratische Prinzipien mit Füßen treten», sagt der 34-jährige Theologe. Der Staat mache der lutherischen und der katholischen Minderheit zwar seit jeher das Leben schwer. Nun aber sei der Zeitpunkt für friedlichen Widerstand gegen das Regime gekommen.
Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August sei in Belarus nichts mehr wie vorher. Die Polizeigewalt sei nur das sichtbarste Zeichen dafür, wie sich die Lage aufgeheizt hat. Noch vor der Wahl habe sich keiner vorstellen können, dass die Menschen massenhaft auf die Straße gehen, sagte Tatarnikow. Nun würden alle Lebensbereiche von der Politik erfasst. «Man muss eigentlich von zwei Leben in Belarus sprechen, das vor und das nach dem 9. August.»
Die Protestierenden würden von Presse und Staatsfernsehen dämonisiert. Viele von ihnen verlören ihren Studienplatz oder ihre Arbeitsstelle. Es sei wichtig, dass ihre Mitbürger sie unterstützen, betonte Tatarnikow.
Er vergleicht die Situation auch mit der friedlichen Revolution in der DDR. Wie die meisten seiner Landsleute wolle er keinen gewaltsamen Umsturz, sondern friedliche Veränderungen. Diese seien ohnehin unvermeidlich, betont Tatarnikow. «Das alte Belarus wird es nicht mehr geben. Etwas muss sich verändern.» Sollte es auf eine Demokratie hinauslaufen, sei die Schaffung demokratischer Verhältnisse eine große Aufgabe. «Die Menschen hier sind nicht daran gewöhnt, Verantwortung für sich zu übernehmen.» Belarus müsse von Deutschland lernen. Es habe zweimal vorgemacht, wie man nach totalitären Regimen die Zivilgesellschaft aufbaut.
Tatarnikow möchte nicht, dass die gesellschaftliche Polarisierung das Leben seiner Kirchengemeinde zerstört. Einige Mitglieder unterstützen Präsident Lukaschenko. Andere, vor allem junge Menschen, gingen zu den Demonstrationen und nähmen damit Schwierigkeiten in der Schule und am Arbeitsplatz in Kauf. Auch jetzt sei es die Aufgabe aller Christen, den Schwachen und den Verfolgten zu helfen. Seine Gemeinde solle ein Ort werden, wo die Menschen über die Zukunft des Landes sprechen können, ganz gleich, wo sie politisch stehen, betont er.
Urs Mundt (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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