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«Das Szenario in Taiwan ist anders als in der Ukraine»
Taiwan steht am 3. März im Mittelpunkt des diesjährigen christlichen Weltgebetstags. Millionen Frauen und inzwischen auch viele Männer werden dann weltweit ihre Aufmerksamkeit auf den demokratisch regierten Inselstaat im Pazifik richten. Heute leben dort 23,5 Millionen Menschen auf einer Fläche so groß wie Baden-Württemberg.
Der China-Kenner und Publizist Alexander Görlach hat lange in Taiwan gelebt und geforscht und 2022 das Buch «Alarmstufe Rot» über die Außenpolitik der Volksrepublik China herausgebracht. Im Gespräch mit Alexander Nortrup vom Evangelischen Pressedienst (epd) schildert der katholische Theologe, wie Taiwan tickt. Görlach hat auch an der Harvard-Universität im US-amerikanischen Boston geforscht und ist heute Honorarprofessor für Ethik und Theologie an der Leuphana Universität in Lüneburg.
epd: Herr Görlach, Sie haben offenbar sehr gern in Taiwan gelebt, wie Ihr Buch verrät. Wie würden Sie jemandem, der keine Ahnung von diesem Land hat, seinen Charme erklären?
Görlach: Ich finde, Taiwan ist ein hervorragendes Einstiegsland für Ostasien. Die Menschen haben noch die chinesischen Umgangsformen aus der Zeit vor der Kulturrevolution. Zugleich sind sie der ehemaligen Kolonialmacht Japan gegenüber sehr aufgeschlossen und haben sich da viel abgeschaut. Und sie sind irgendwie auch wie die Amerikaner und regeln alles per Du. Schließlich sind sie Inselmenschen, und die Welt dreht sich bei Ihnen einfach ein bisschen langsamer. Kulinarisch ist das Land sehr vielfältig. Und mit Englisch kommen Sie nicht nur in der Hauptstadt relativ weit.
Ist Taiwan ein religiöses Land?
Ich kann Ihnen aus eigener Anschauung sagen, dass auf Taiwan, in den vielen Tempeln, die es dort gibt, gebetet wird, die Menschen Rauchkerzen aufstellen, sich ihrer Ahnen vergewissern und die Götter um Schutz bitten. Im Monat der Geister werden vor allen Geschäften kleine Altäre mit Opfergaben für diejenigen aufgestellt, die in der jenseitigen Welt leben. Gelbes Papiergeld wird verbrannt.
Vieles davon mag als eine Tradition gepflegt werden, wie bei uns die Teilnahme am Weihnachtsgottesdienst.
Peking sieht Taiwan historisch als sein Eigentum an, hat mehrfach gedroht, die Insel mit Gewalt einnehmen und annektieren zu wollen. Passiert in Taiwan gerade die nächste Eskalation mit Ansage - analog zu Putins Einmarsch in die Ukraine?
Man kann Putin und Xi Jinping gut vergleichen: Sie beide wollen die eigene Nation zu einem Platz an der Sonne führen. Beide sollen sich zudem während der Pandemie stark zurückgezogen und radikalisiert haben. Dennoch ist das Szenario in Taiwan anders als in der Ukraine. Denn in Taiwan würden die USA sehr schnell und mit Ansage zu einer direkten Kriegspartei. Mit der Präsenz amerikanischer Truppen in unmittelbarer Nähe und mit den Sicherheitsgarantien, die die USA Taiwan gegeben haben, wäre das Risiko einer Taiwan-Invasion für Peking größer als für den Kreml in der Ukraine.
Eine plurale, freiheitliche Demokratie direkt neben einem gigantischen Schurkenstaat - das kann doch nicht lange gut gehen, oder?
Vielleicht - aber eine Annexion Taiwans kann China nicht so einfach und ohne große Verluste planen. Die Anlandung von Amphibien-Fahrzeugen sehen viele Experten als schwierig an, die See ist stürmisch und die Küste felsig. Dennoch fragen Militärexperten nicht ob, sondern wann es zu einer Invasion kommt. Aber solange die Zukunft nicht eingetreten ist, ist das alles nur Spekulation.
Christen und Muslime werden in der Volksrepublik China verfolgt und vertrieben. Drohte ihnen in einem von China überrannten Taiwan das gleiche Schicksal?
Ich glaube, ein Blick nach Hongkong, das inzwischen zu China gehört, gibt Antwort auf diese Frage: Dort ist im Mai 2022 der 90-jährige Kardinal Joseph Zen verhaftet worden, weil er sich für die Demokratie eingesetzt hat. Er ist in der Stadt sehr beliebt, seine Inhaftierung hat viele Menschen erschüttert. Peking wollte damit Katholiken und allen anderen Gläubigen zeigen: Religion wird in Hongkong nun genauso rücksichtslos behandelt wie in der Volksrepublik. In Taiwan gibt es viele christliche Einrichtungen, obwohl nur vier Prozent der Taiwaner Christen sind. Das liegt daran, dass viele Gläubige vor Maos Atheismus nach Taiwan geflohen sind.
In Ihrem Buch «Alarmstufe Rot» beschreiben Sie die kommunistisch regierte Volksrepublik China als machthungrige Diktatur, die in ihren Unterdrückungs- und Expansionsgelüsten vor nichts zurückschreckt. Blicken Sie dennoch optimistisch in die Zukunft?
In der Corona-Pandemie haben die Festland-Chinesen erleben müssen, wozu ihr Staat in der Lage ist. Anders als in demokratischen Staaten kann dort niemand die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen stellen. Bei Corona konnten sich selbst die, die sich politisch enthalten, einer Meinungsbildung nicht entziehen. Deshalb kam es nun zu einer bemerkenswerten Protestwelle mit landesweit mehr als 500 Demonstrationen zwischen Mai und November. Dabei ging es längst nicht nur um Corona. Die Menschen haben gemerkt, dass sie der Partei mit Leib und Leben ausgeliefert sind.
Aufgrund der Proteste hat Peking seine Corona-Politik um 180 Grad verändert. Sehen Sie Ansätze dafür, dass die Protestbewegung weitere Kreise zieht?
Ob die Menschen in China demnächst auch für einen liberalen Staat und Demokratie auf die Straße gehen werden, muss man abwarten. Aber dass Protest erfolgreich sein kann, wissen sie nun.
Im Resümee ihres Buches zitieren Sie Psalm 34 aus der Bibel: «Suche Frieden und jage ihm nach». Haben Sie Hoffnung für Taiwan, trotz aller bedrohlichen Szenarien?
Leider ist die Welt vielfach nicht mehr so, wie wir sie gern hätten. In Sachen Taiwan liegt alles an China. In einer solchen Situation ist es wichtig, die Friedensoption nicht aus dem Auge zu verlieren. Denn selbst wenn ein Krieg um einer gerechten Sache willen geführt werden würde - er bringt doch immer immenses Leid über unzählige Menschen. Um Frieden zu erhalten, so sah es Ronald Reagan, bedürfe es der militärischen Abschreckung. In Sachen China sieht es so aus, als ob diese Annahme gültig bliebe. Eine Perspektive für den Frieden halte ich in der Tat für entscheidend - nicht nur zum Weltgebetstag.
Autor:Katja Schmidtke |
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