Tschechoslowakei
Der Fußballer, der das Ghetto überlebte
Pavel Mahrer war vor rund 100 Jahren eine Fußball-Legende in der Tschechoslowakei. Die Nazis deportierten ihn nach Theresienstadt - und er überlebte. Jetzt sind seine Nachfahren aus den USA nach Prag gereist und haben sich auf seine Spuren begeben.
Von Kilian Kirchgeßner (epd)
Das Trikot hat die Familie vorsichtshalber in Packpapier eingewickelt, daheim in New York. In Prag ziehen jetzt zwei Museums-Mitarbeiterinnen weiße Handschuhe an, bevor sie das Päckchen öffnen. Rot-weiß gestreift ist das Trikot, auf der Brust die markante Flagge der Tschechoslowakei. «Damit ist Opa vor genau 100 Jahren bei den Olympischen Spielen angetreten», erklärt Alec Mahrer, der Stolz schwingt in seiner Stimme mit: Sein Großvater Pavel war in den 1920er Jahren einer der bedeutendsten Fußballer des Landes, und sein Trikot von einst kommt jetzt ins Prager Nationalmuseum.
Dass die Geschichte von Pavel Mahrer ein Happy End haben würde, war denkbar unwahrscheinlich. Im Jahr 1900 kam er auf die Welt, er war der Sohn einer deutschsprachigen jüdischen Familie im böhmischen Ort Teplice. Der begabte Fußballer spielte für die besten Teams seiner Zeit und trat etliche Male für die Nationalmannschaft an, bis Nazi-Deutschland in die Tschechoslowakei einmarschierte. Pavel Mahrer wurde nach Theresienstadt deportiert, gründete sogar dort eine Fußballmannschaft - und überlebte. Seine beiden Brüder wurden in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg begann Mahrer in den USA ein neues Leben, er starb 1985 im Alter von 85 Jahren in Los Angeles.
Jetzt sind seine Nachfahren nach Prag gereist, um direkt vor der Fußball-Europameisterschaft die Spuren des Idols aus der Vorkriegszeit zu suchen: Thomas und Alec sind zwei Enkel, mit dabei sind auch die Urenkel Zev und Adam sowie die Urenkelin Dani. «Er hat von uns allen erwartet, dass wir auch Fußball spielen», erzählen sie lachend. Aber zu einer Profi-Karriere hat es bei keinem von ihnen gereicht. Dafür zeigte aber Großvater Pavel selbst im hohen Alter noch Kunststückchen, balancierte den Ball minutenlang auf seinem Fuß.
«Der Fußball ist für uns ein Symbol dafür, dass unsere ganze Familie überlebt hat», sagt Thomas Mahrer.
Mit einer Demonstration seiner Ballfertigkeit begann die Karriere von Pavel Mahrer. Im Ersten Weltkrieg geriet er als 17-Jähriger in britische Gefangenschaft; die Engländer wollten eine Fußballmannschaft gründen. «Die Auswahl der Spieler lief so, dass sie jedem einen Ball vor die Brust geworfen haben», so erzählt man es sich in der Familie Mahrer bis heute: «Und unser Großvater hat ihn mit der Brust gestoppt, ihn sich aufs Knie vorgelegt und von da aus auf den Fuß und dann ein bisschen mit dem Ball balanciert. Und die Engländer sagten: 'Du bist in der Mannschaft! »
Es war der Beginn einer großen Karriere: Nach dem Krieg spielte Pavel Mahrer zuerst für die Mannschaft in Teplice, damals war das ein Spitzenteam. Dann wechselte er nach Prag in den Deutschen Fußballclub DFC, mit dem er mehrfach Meister des Deutsch-Böhmischen Fußballverbands wurde. Er stieg zum Nationalspieler auf, nahm an den Olympischen Sommerspielen teil und wechselte für ein paar Jahre nach New York, wo damals im Fußball die besseren Gehälter gezahlt wurden - eine sensationelle Karriere in jenen Anfangsjahren des Profifußballs.
Für seine Nachfahren führt die Tour durch Tschechien jetzt an alle jene Orte: Nach Teplice ebenso wie auf den jüdischen Friedhof in Prag, wo viele von Pavel Mahrers Weggefährten beerdigt sind. Und nach
Theresienstadt: Dort, im einstigen KZ und jüdischen Ghetto, war auch Pavel Mahrer interniert - er, der Superstar der damaligen Fußballwelt.
«Wir haben jede Menge Briefe und Postkarten aus jener Zeit», erzählen seine amerikanischen Nachfahren. Auf eine von ihnen notierte der inhaftierte Pavel Mahrer eine Durchhaltebotschaft an Freunde und
Familie: «Sag den Jungs, dass ich immer noch Fußball spiele», schrieb er auf eine Karte aus Theresienstadt.
Die Olympischen Spiele 1924, lange vor dem Zweiten Weltkrieg, waren einer der Höhepunkte in Pavel Mahrers Karriere. Als Favorit fuhr das tschechoslowakische Team damals nach Paris, sagt Zdenek Skoda, der Vizepräsident der tschechischen Olympia-Akademie. Sie hätten sich aber auf diesen Lorbeeren ausgeruht, nicht ausreichend gekämpft. Und so scheiterte die Mannschaft damals im Achtelfinale.
Das Trikot von Pavel Mahrer aber, das lange in New York in einem Schrank seiner Nachfahren aufbewahrt wurde, ist jetzt wieder zurück in Prag: Im Herbst wird es im Nationalmuseum in einer großen Ausstellung über die tschechische Olympia-Geschichte zu sehen sein, «als ältestes Textil-Artefakt, das wir in der Sammlung haben», wie es beim Nationalmuseum heißt.
Und auch der Deutsche Fußballclub Prag, in dem Pavel Mahrer seine größten Erfolge feierte, würdigt den Besuch der Nachfahren. 2016 wurde er wieder begründet, nachdem die Nazis ihn 1939 aufgelöst hatten; heute ist er ein Hobby-Verein, in dem vor allem Jugendmannschaften trainieren. In einem Freundschaftsspiel laufen dort jetzt auch die amerikanischen Enkel und Urenkel von Pavel Mahrer auf - das erste Mal seit fast 100 Jahren, dass ein Mahrer wieder die Kapitänsbinde anlegt.
Autor:Online-Redaktion |
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