Karl Barth
Europäische Konsultation in Budapest
Karl Barths Weckruf an die Christenheit durch seine Auslegung des Römerbriefes und die Rede in Tambach in Thüringen vor 100 Jahren waren der Anlass zu einer Tagung in Budapest. Der Reformierte Weltbund hatte dazu im „Karl-Barth-Jahr“ Theologen aus ganze Europa und den USA unter der Überschrift „Zeitung und Bibel – Christus heute in Europa bekennen“ eingeladen.
Das Eröffnungsreferat hielt Professor Gusztav Bölcskei aus Debrecen. Aus einer profunden Analyse Barthscher Texte – auch anlässlich seiner Besuche in Budapest 1936 und 1948 – folgerte er die Warnung vor einer neuen Domestizierung und Instrumentalisierung der Kirchen in Europa, insbesondere aber im heutigen Ungarn. Durch Änderung eines Kirchengesetzes soll einem bisherigen Regierungsvertreter die Wahl zum Bischof ermöglicht werden. Die Freiheit der Kirche sieht er ganz im „bei der Sache bleiben“, in der Gebundenheit an das Wort Gottes allein gegeben, in Abwehr von Vereinnahmungsbestrebungen des Staates.
Axel Bargheer, Pastor der reformierten Gemeinde in Kopenhagen, brachte den Blickwinkel einer dänischen Minderheitskirche in einem Land einer mit vielen Privilegien ausgestatteten lutherischen Volkskirche ein, die nach seiner Meinung durch die engen Bindungen an den Staat nicht genug Freiheit zu konkreter politischer Stellungnahme habe.
An die „runden Tische“ in der DDR 1989 wurde man durch den Bericht von Chloe Clemmons erinnert. Sie ist Vertreterin ihrer „Nationalkirche“ beim schottischen Parlament. In einem durch Brexit und Unabhängigkeitsbestrebungen zerrissenen Land werde in Gemeinden organisierten Treffen Gesprächsfähigkeit und das Hören aufeinander neu eingeübt. Hier handle die Kirche als hilfreicher Moderator, der ganz im Sinne des Evangeliums versucht, Frieden zu stiften.
Wieder eine andere Situation kirchlicher Arbeit brachte eine ungarischstämmige Pastorin aus Rumänien, Judit Vincze Palfi, ein, die von Diskriminierung ihrer Minderheit durch den rumänischen Staat berichtete – trotz Europa. Beispielsweise gibt es in den rumänischen Krankenhäusern keine Dolmetscher, was zu Fehldiagnosen führe, und bei ungarischen Schulanfängern wird die muttersprachliche Kenntnis des Rumänischen vorausgesetzt.
„Dir gehört die Zukunft, Gott!“ – diesen Leitspruch haben sich reformierte niederländische Christen gesetzt. Dessen Generalsekretär Dr. René de Reuver der seit 15 Jahren vereinigten Protestantischen Kirche stellte das Wort der Gnade, das nicht in den Schlaf wiegt, sondern in Bewegung setzt, als Kraftquelle seiner Kirche dar. Sie findet trotz anhaltender Säkularisierung zu neuen Formen einer einladenden missionarischen Kirche, zu der auch die Herausbildung einer „grünen Theologie“ und die Wiederentdeckung des Gebetes als Kraftquelle gehöre. Er berichtete von „Spaziergängen für das Klima“ in Amsterdam, die durch Gebete eingerahmt werden. Die Gemeinden seien der Ort, wo Menschen ihr Herz öffnen könnten. Neben den traditionellen Gemeinden gebe es 200 neue Formen von Gemeinschaften innerhalb der Kirche.
Pfarrer Albrecht Fischer aus Mönchengladbach beschrieb die gegenwärtige deutsche Situation mit den demographischen Entwicklungen, die zu zunehmender Vereinzelung und Einsamkeit führten, sowie der Eröffnung eines neuen öffentlichen Raumes, dem Internet, was die Möglichkeit des Menschen zu Bosheit und Hass mit großer Wucht deutlich mache. Da, wo Gemeinden aus dem Evangelium heraus handelten, zeige sich Bewegung: Etwa bei der Hilfe für Flüchtlinge, wodurch auch Menschen über die Gemeindegrenzen hinaus erreicht würden.
Er beklagte die Interessenlosigkeit einer jungen Theologengeneration, die nicht mehr zu tiefgehender theologischer Auseinandersetzung bereit sei. Ganz im Sinne Barths komme die eigentliche Bedrohung der Kirche nicht von außen, sondern von innen: Gottes Wort und das Erbitten seines Geistes sei alles, was auch in Zukunft tragen könne; alles andere inklusive alter Privilegien sei zugleich „Chance und Gefahr, Gefahr und Chance“. Der gegenwärtig verbreiteten Desolidarisierung und Verachtung anderer nicht selbst mit Ausgrenzung und Verachtung zu begegnen, sondern das Böse mit Gutem zu überwinden, sah er als spannende und bisher selten gelöste Aufgabe im gesellschaftlichen Diskurs in unserem Land.
In einer Abschlusserklärung forderten die Versammelten die Kirchen Europas auf, „ihre Berufung als Botschafterinnen der Versöhnung anzunehmen und ihre Stimmen für ein einiges, friedliches, menschenfreundliches und offenes Europa deutlich und vernehmbar zu erheben und nicht ruhen zu lassen: Im Vertrauen auf Gott, der der Schöpfer aller Menschen ist, auf Jesus Christus, der uns erlöst hat, und den Heiligen Geist, der unseren Horizont erweitert.“
Die Flüchtlingsarbeit in Budapest, vom Staat behindert und von der Kirche auf staatlichen Druck hin ausgelagert in einen Verein „Kalunba“ ist zur Zeit nur durch ehrenamtliches Engagement und die Hilfe von deutschen Gemeinden möglich – auch das erfuhren Teilnehmer der Tagung aus erster Hand. Und die schottische Vertreterin klärte auf, dass „Halloween“ zu ihrem großen Missfallen „amerikanisiert“ und verändert worden sei: Ursprünglich seien die Kinder mit lustigen Versen und Liedern von Haus zu Haus gezogen und hätten dafür Süßigkeiten erhalten.
Die Gastfreundschaft der ungarischen reformierten Kirche, in deren Synodenhaus die Tagung stattfand, war herzlich. Geschlossen wurde mit einer Abendmahlsfeier und einer Predigt zu Psalm 1 mit dem Bild des Baumes, der fest steht, tiefe Wurzeln hat und so allen Stürmen trotzen kann.
Thomas Meinhof, Pfarrer in Seyda bei Wittenberg, Tagungsteilnehmer
Autor:Katja Schmidtke |
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