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Luthers Erben in Namibia

Konfirmation in der Hosianna-Kirche von Windhuk – festlich gekleidete Jugendliche, umrahmt von zweitausend betenden Gemeindemitgliedern. | Foto: Paul-Josef Raue
  • Konfirmation in der Hosianna-Kirche von Windhuk – festlich gekleidete Jugendliche, umrahmt von zweitausend betenden Gemeindemitgliedern.
  • Foto: Paul-Josef Raue
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Der Lutherische Weltbund lädt im 500. Jahr der Reformation zu seiner Vollversammlung nach Namibia ein. Ein Land, das eng mit der deutschen Geschichte verbunden ist.

Von Paul-Josef Raue

Für Gewehre gibt es einen eigenen Schalter auf dem internationalen Flughafen von Windhuk. Die Großwildjäger, laut und schulterklopfend, hatten schon auf dem Zehn-Stunden-Flug nach Namibia von der Lodge geschwärmt, die so schön sei und romantisch wie im Film »Jenseits von Afrika«.
Als sie in die Halle des Flughafens kommen, staunen sie, als wäre schon Weihnachten: Ein großer Chor singt »Ein feste Burg«, so kräftig, dass es ihnen in die Glieder fährt und die Gewehre von den Schultern rutschen. Was für ein Empfang!
Doch der gilt nicht ihnen, sondern einer Delegation der befreundeten braunschweigischen Landeskirche. Domprediger Joachim Hempel erinnert sich an die christlichen Umarmungen ebenso wie an die verstörten Jäger-Gesichter – deren Weltbild nicht mehr passt: Sind wir wirklich in Afrika?
Da stimmt kein Vorurteil mehr: Weder das romantische aus dem Kino vom Leben neben Löwenpaaren und schwarzen Hausdienern noch das politische der Tagesschau von Muslimen, die Deutschland überfremden wollen. Afrika ist anders, auch im Glauben: Auf dem Kontinent, den wir den schwarzen nennen, bekennen sich mehr Menschen zu Christus als zu Mohammed.
Ein Sonntagmorgen in der großen Hosianna-Kirche am Rande von Windhuk: Der Parkplatz ist überfüllt, Ordner weisen ein, Tausend Menschen in der Kirche, Tausend draußen – und ein ständiger Wechsel. Die Kirche ist der wöchentliche Treffpunkt.
Die Frauen, besonders die jungen, haben sich chic gemacht mit bunten Gewändern, weißen Spitzen und fantastischen Hüten, man hört die Predigt, singt im Chor Bachs »O Haupt voll Blut und Wunden«, empfängt das Abendmahl, geht immer wieder nach draußen, um mit Bekannten und Freunden zu reden, und reiht sich in eine lange Schlange ein: Vor dem Altar werden, unter den Blicken der Pfarrer, zwei große Körbe aufgestellt, die schnell mit Geldscheinen gefüllt sind – ein Korb für ein Projekt, der zweite für die Pfarrer und die Arbeit in der Gemeinde. Kirchensteuer auf namibisch.
Nach gut fünf Stunden liest einer der Pfarrer die Liste aller Mitwirkenden vor: Der Abspann wie am Ende eines guten Films – fünf Stunden Gottes– und Menschendienst an einem sonnigen Sonntag in Windhuk.
Namibia ist ein weites Land mit großen Wüsten und wenig Wasser; auf einer Fläche doppelt so groß wie Deutschland leben weniger Menschen als in Berlin. Namibia ist eine Demokratie, repräsentativ, vorbildlich in Afrika, aber trotzdem noch ein zerrissenes Land: Der Riss zwischen Schwarz und Weiß geht auch quer durch die drei lutherischen Kirchen: Die Einheit ist das Ziel, aber ein zähes Projekt, das immerhin schon eine gemeinsame Pastoren-Ausbildung kennt.
Die kleinste der Kirchen ist die deutsche, es ist die Kirche der ehemaligen Kolonialmacht. Die Missionare Luthers baten Bismarck um Schutz und Hilfe; der bat die Engländer um militärischen Schutz, bekam als Antwort: Nein, jede Macht kümmert sich um die eigenen Leute.
Das Deutsche Reich schickte Soldaten, erst wenige zum Schutz der Missionare, später 15 000, die den Stamm der Hereros vernichteten. Zum ersten Völkermord des zwanzigsten Jahrhunderts bekannte sich die deutsche Regierung erst vor einem Jahr.
Wessen Hautfarbe schwarz war, den schützten die Deutschen nicht, auch nicht, als die südafrikanischen Besatzer die Apartheid rigoros durchsetzten. Der Lutherische Weltbund suspendierte sogar die deutsche Kirche in Namibia und unterstützte den Freiheitskampf der Swapo.
Die Geschichte Namibias war eine deutsche Geschichte, und sie ist es bis heute. Wer auf der Autobahn von Windhuk an die Atlantik-Küste fährt, sieht am Straßenrand Menschen, die Steine auf Autos werfen: Die Struggle Kids, die Kinder des Kampfes.
Die »Allgemeine«, seit hundert Jahren die deutschsprachige Zeitung, zeigte vor wenigen Monaten ein Foto mit diesen Kindern, die eine Faust in den Himmel recken und die Autobahn blockieren. Die DDR hatte den von der Swapo aus verschiedenen Flüchtlingslagern zusammengezogenen Kindern in den siebziger Jahren Asyl gewährt, in den dunkelsten Jahren der Apartheid.
Kurz nachdem in Deutschland die Mauer gefallen war, bekam Namibia die Unabhängigkeit: Die Struggle-Kids hatten in Deutschland keine Zukunft mehr, und in Namibia waren sie die Fremden, die schwarzen Deutschen. Sogar mit eigener Sprache, dem Oshi-Deutsch, einer Mischung aus Deutsch und Oshivambo. Auch wenn sie, meist arbeitslos, nur eine kleine radikale Gruppe bilden, sind sie typisch für die Konflikte Namibias.
Die über Jahrhunderte unterdrückten Schwarzen fordern von ihrer Regierung nicht nur Mitleid, sondern auch Landbesitz, fordern Farmen, die zum großen Teil immer noch den Weißen gehören. Die Regierung zögert, will die Fehler wie im Nachbarland Simbabwe vermeiden: Dort hat die gewaltsame Enteignung die Landwirtschaft zusammenbrechen lassen. Namibia versucht den Ausgleich, der allen die Zukunft sichern soll. So wächst mit Namibianern, deren Herkunft deutsch ist, eine neue Farmergeneration heran.
Die Deutschen sind da, sie sind friedlich, haben eine eigene Kirche und einen eigenen Bischof, sie sind die Wohlhabenden im Land, die Farmer, Handwerker, Unternehmer – auch wenn mit Calle Schletwein, dem Finanzminister, nur ein Weißer in der Regierung sitzt. In Windhuk flaniert man durch die Genscher-Straße oder wohnt im Thüringer Hof; der Besuch des Museums von Swakopmund an der Küste ist wie ein Spaziergang durch die deutsche Geschichte.
Im kommenden Jahr, dem Lutherjahr, wird die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes nicht in Wittenberg tagen, sondern in Namibia –
als Zeichen für die Weltoffenheit der Erben Luthers. Die deutschen Lutheraner werden sich dann das Flugzeug teilen mit den Großwildjägern, und gemeinsam werden sie wohl auch mit »Ein feste Burg« empfangen werden.

Autor:

Adrienne Uebbing

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