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Sri Lanka
Mehr als 100 Tage Widerstand

Eine Kundgebung von Aktivisten der Protestbewegung Aragalaya am 20.7.2022 vor dem Präsidialbüro in Colombo, Sri Lanka. Sri Lanka befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise. Eine neue Bewegung begreift dies als Chance - ​und bekommt dafür Drohungen. | Foto:  epd-bild/Natalie Mayroth
  • Eine Kundgebung von Aktivisten der Protestbewegung Aragalaya am 20.7.2022 vor dem Präsidialbüro in Colombo, Sri Lanka. Sri Lanka befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise. Eine neue Bewegung begreift dies als Chance - ​und bekommt dafür Drohungen.
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  • hochgeladen von Mirjam Petermann

Neben einem der größten Einkaufszentren Sri Lankas und einem Fünfsternehotel steht seit mehr als 100 Tagen ein Zeltdorf aus bunten Planen. Ein älterer Mann beackert dazwischen auf dem einstigen Rasen den Boden und legt weitere Beete für den kleinen Gemüsegarten an. Von den Sträuchern pflückt er die reifen Okraschoten für die Gemeinschaftsküche, in der zweimal am Tag für 400 Menschen gekocht wird. Die Jugendlichen, jungen Erwachsenen und auch älteren Menschen leben derzeit in dem improvisierten Camp auf der zentralen Strandpromenade von Sri Lankas Hauptstadt Colombo, von dem ein Teil vor dem Präsidialamt am frühen Freitagmorgen vergangene Woche geräumt wurde.

Für viele ist es ein Kampf, der am 9. April 2022 begann. Seit Monaten befindet sich das Land in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Nachdem Sri Lanka die Devisen ausgegangen waren, wurden viele Güter des täglichen Bedarfs wie Grundnahrungsmittel, Medikamente oder Treibstoff knapp oder aufgrund der hohen Inflation zu teuer für weite Teile der Bevölkerung.

Das wollen die Protestierenden auf der Strandpromenade ändern.
«Wir wollen eine Veränderung des wirtschaftlichen und politischen Systems erreichen», sagt der 31-jährige Nipuna Amal, der in Schwarz gekleidet ist und aus Hambantota im Süden angereist ist. Er ist Teil der Bewegung «Aragalaya , was so viel wie Kampf auf Singhalesisch bedeutet.

Ihr erstes Ziel war es, Gotabaya Rajapaksa, der bis vor seiner Flucht ins Ausland als Präsident mit vielen Befugnissen die Geschicke des Landes lenkte, aus dem Amt zu drängen. Viele Menschen geben seiner Regierung, die Steuergeschenke machte und die Einfuhr von Dünger stoppte, eine Mitschuld für die Wirtschaftskrise. Doch mit dem Rückzug Rajapaksas alleine sind sie nicht zufrieden. Sie fordern auch den von Ranil Wickremesinghe, der im Mai von Rajapaksa zum Premierminister ernannt wurde.

Allerdings konnte Wickremesinghe gerade erst seine Macht ausbauen, indem er vom Parlament am Mittwoch zum neuen Übergangspräsidenten gewählt wurde. Verschiedene Fraktionen hatten versucht, das zu verhindern, jedoch vergebens. Seitdem ist die Stimmung im Camp getrübt. Die politische Elite habe gezeigt, dass man ihr nicht vertrauen könne, sagt er 38-jährige Harinder Fonseka, der sich in der Gemeinschaftsküche engagiert. »Am Ende des Tages leiden Hunderttausende Menschen auf den Straßen.«

Die Protestierenden haben eine Bücherei und ein Gemeinschaftstreff eingerichtet. Wandmalereien, Gedichte auf Transparenten fordern »Go Home Ranil«. Fonseka befürchtet, dass Wickremesinghe versuchen wird, den Rest der Welt glauben zu machen, sie seien undiszipliniert.

Sie wollen friedlich weitermachen. Allerdings hat die Camp-Gemeinschaft Drohungen erhalten, erzählt Fonseka bei einer Kundgebung ein paar Hundert Meter weiter vor dem Präsidialbüro. Wie viele andere weigert er sich hinzunehmen, von der politischen Elite als Unruhestifter bezeichnet zu werden. Der ohnehin in der Bevölkerung wenig beliebte Wickremesinghe klagte in einer Fernsehansprache über eine angebliche »faschistische Bedrohung« für die Demokratie, die er nicht dulden könne.

Wen der 73-jährige Politiker damit meinte, ist den Protestierenden klar. Sie übernahmen am 9. Juli weitgehend friedlich den Präsidentenpalast und das Büro des Präsidenten, nachdem es Rajapaksa nicht gelungen war, die wirtschaftliche Lage unter Kontrolle zu bringen. Der Plan ging auf und fünf Tage später verkündete Rajapaksa aus dem Ausland seinen Rücktritt. Es war das erste Mal, dass ein Präsident in Sri Lanka vor Ende seiner Amtszeit wegen Misswirtschaft sein Amt niederlegte.

»Dieser Kampf dient einer größeren Sache«, sagt die Sportlehrerin Dilshani Rathnayake aus Colombo. Seit mehr als 100 Tagen unterrichtet sie ihre Schülerinnen nun schon online live aus dem Camp, und das wird vorerst so bleiben. »Als junge Generation haben wir eine Verpflichtung, gegenüber unserem Land für eine Zukunft zu sorgen«, sagt die 26-Jährige. Neben den Menschen im Camp haben Gewerkschaften ihre Unterstützung durch Streiks zugesagt. Was als Nächstes geplant ist, wird spontan verkündet, um die Aktion nicht zu gefährden.

Aragalaya hat einen Aktionsplan veröffentlicht. Ein vorläufiger »Rat" besteht aus Gewerkschaften und Aktivisten, die an den Protesten teilgenommen haben. Sein Zweck ist es, dafür zu sorgen, dass das Parlament die vorgeschlagenen Reformen der Bewegung umsetzt. Die maximale Amtszeit des Rates soll zwölf Monate betragen. Nach Abschluss der Reformen soll der Rat aufgelöst und die öffentlichen Vertreter nach dem reformierten System gewählt werden. Über die Teil-Räumung des Camps ist der Aktivist Fonseka fassungslos. Sie hätten die Umgebung des Präsidalamtes ohnehin am Freitagnachmittag verlassen wollen, sagt er.

Autor:

Online-Redaktion

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