Blickwechsel
Mit Kopftuch und Kreuz auf der Schulbank
Seit mehr als 15 Jahren engagieren sich Gerd und Gabriele Keßler aus Klettbach im Weimarer Land für Kinder in Afrika. 2016 gründeten sie mit "Educaid Kenya" ihren eigenen Verein. Sie opfern Freizeit, geben Geld und lassen Nerven. "Wir haben viel Gutes im Leben erlebt und selbst viel Unterstützung gehabt. Wir sind Christen und haben immer den Wunsch gehabt, etwas zurück zu geben", sagt Gabriele Keßler.
In jeder freien Minute engagiert sich das Ehepaar für den Verein, der inzwischen rund 250 Mitglieder zählt, und die wiederum unterstützen etwa 150 Patenkinder. Die Kinder wohnen in der Millionenstadt Mombasa, etwa 10 000 Kilometer von Klettbach entfernt. Dennoch ist der Kontakt zu ihnen eng. Es werden Briefe, E-Mails und WhatsApp-Nachrichten geschickt. Jeder Pate kennt sein Kind mit Namen und auch ein Stück seines Schicksals.
Jedes der unterstützten Kinder hat sein Päckchen zu tragen. Etliche wachsen ohne Vater auf, andere haben mittellose Eltern, Geschwister gibt es oft viele. Die Kinder gehen inzwischen regelmäßig zur Schule. Mit Hilfe vieler Unterstützer, Spenden von Stiftungen und Unternehmen, ist es dem Verein gelungen, eine eigene Schule zu bauen. Im Januar, mitten in der Corona-Zeit, fand der erste Unterricht statt. Das für 250 Kinder konzipierte Haus wurde schnell zu klein. Inzwischen lernen 340 Kinder dort. Ein Neubau ist in Arbeit und soll im Januar eröffnet werden. Die Schule hat sich zum Erfolgsmodell entwickelt, und doch kann nicht jeder dort lernen. Kinder, die nicht von Paten unterstützt werden, müssen, wie so oft in Kenia üblich, ein Schulgeld bezahlen. Die gesponserten Patenkinder wiederum werden nach strengen Kriterien ausgesucht. Dafür gibt es eine Kommission, die sich das soziale Umfeld des Kindes genau anschaut. Die Familie wird geprüft, der zuständige Dorfälteste befragt, und auch der Pfarrer muss grünes Licht geben.
Eine Patenschaft ist für die Kinder ein, wie wir es nennen, "6er im Lotto": Sie bekommen den Schulbesuch bezahlt, ein warmes Mittagessen am Tag und Schulkleidung – für 250 Euro im Jahr. Die Kinder sind eifrig und oft von 7 Uhr bis 17 Uhr in der Schule. Hier haben sie Strom, es gibt Wasser und Sanitäranlagen. Neben dem Schulgarten gibt es eine Küche, in der frisch Geerntetes zubereitet wird. Das Projekt soll nachhaltig sein.
Und noch etwas fällt auf: In einem Land, in dem rund 80 Prozent Christen und 10 Prozent Muslime leben, lernen die Kinder unterschiedlicher Religionen gemeinsam. Mädchen mit Kopftuch sitzen neben Jungs, die ein Kreuz am Hals tragen. Religiöse Hürden gibt es hier nicht. Der Religionslehrer für muslimische Kinder reagiert erstaunt auf die Frage, wie das Miteinander funktioniert. Über so etwas habe er sich nie Gedanken gemacht. „Wir sind alle gleich. Wir leben harmonisch. Wir sind Brüder und Schwestern“, so die Antwort von Mister Adam. Es gibt keine Auseinandersetzungen aufgrund von Religion. Auch unterschiedliche Kleidungen werden akzeptiert. „Wir sind doch alle Menschen und brauchen einander“, so die Antwort.
Ein einziges Mal werden sie getrennt, nämlich dann, wenn Religionsunterricht auf dem Stundenplan steht. Während die eine Klasse in den christlichen Unterricht geht, wechseln die anderen zu Mister Adam und hören Verse aus dem Koran. „Danach sind wir wieder eins“, so Adam. Diese Selbstverständlichkeit gibt es nicht überall im Land. Nach wie vor gibt es rein katholische, rein muslimische, Mädchen- und Jungen-Schulen. Für Educaid-Kenya ein absurder Gedanke, wäre die Schule doch viel trister und lange nicht so bunt. Conny Mauroner
Autor:Online-Redaktion |
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