Hilfe nach Genitalverstümmelung
Rettende OP für Körper und Seele
Jede siebte Frau zwischen 15 und 49 Jahren in Kenia wurde an den Genitalien verstümmelt. Nur wenige Betroffene wissen, dass es Rekonstruktions-OPs gibt. Und noch viel weniger können sich den Eingriff leisten. Nahya Mukami will das ändern.
Von Birte Mensing (epd)
Die Sprachnachrichten, die Nahya Mukami vor wenigen Tagen erhalten hat, kommen von einer Frau um die 40. Darin erzählt die Kenianerin, wie sie im Alter von zehn Jahren an den Genitalien beschnitten wurde - zusammen mit ihrer Schwester, die noch jünger war. Sie habe nie mit jemandem darüber gesprochen, sagt die Frau. Dann aber habe sie von Nahya Mukami und deren Initiative gehört, derart verstümmelten Frauen eine rettende Operation zu ermöglichen. Jetzt sehe sie Licht, sagt die Hilfesuchende in ihrer Audio-Nachricht.
Mukamis «Dotted Lines Initiative» hat es sich zum Ziel gesetzt, solche Operationen bekannter und zugänglicher zu machen - und künftig möglichst auch bei der Finanzierung zu helfen. Gründerin Mukami ist vor allem auf TikTok aktiv. In Videos erklärt sie die operativen Eingriffe und beantwortet Fragen. Wer mehr Infos will, kann sich telefonisch bei ihr melden. Wenn ein Opfer weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) weiter interessiert ist, dann trifft sich Mukami mit der Frau und vermittelt nach Bedarf ein Gespräch mit einer Gynäkologin oder einer Psychologin, bevor ein Termin mit dem Chirurgen ansteht.
John-Paul Ogalo ist plastischer Chirurg. Er rekonstruiert Gesichter nach Verbrennungen und Unfällen, saugt Patienten Fett ab - und er operiert Frauen, die als Kinder oder Jugendliche an den Genitalien verstümmelt wurden. Doch die Behandlung ist teuer, nur wenige können sie sich ohne Unterstützung leisten. Auf der Liste von «Dotted LInes Initiative» stehen aktuell 21 Frauen, die auf den Eingriff hoffen, denen aber noch das Geld dazu fehlt.
Im vergangenen Jahr hatte Ogalo deshalb lediglich sechs Patientinnen. Sie finanzierten die Kosten von umgerechnet etwa 5.000 Euro alle selbst. Ogalo ist im Gespräch mit privaten Krankenversicherungen und dem staatlichen Gesundheitsfonds, damit mehr Frauen Zugang zu Rekonstruktions-OPs bekommen. Nur ein Bruchteil der Menschen in Kenia ist privat krankenversichert, das staatliche Gesundheitssystem trägt Operationen generell nur in den wenigsten Fällen nach langen Kämpfen. «Die Operation sollte über die Leistungen der Nationalen Krankenversicherung abgedeckt sein», fordert Ogalo.
Und die psychologische Begleitung der Versorgung sollte auch gleich mit bezahlt werden. «Es wird viel Lärm brauchen, bis das erreicht ist», sagt der Chirurg.
Dabei ist der Eingriff für Frauen oft der einzige Ausweg und alles andere als kosmetisch. Nach einer Genitalbeschneidung leiden die meisten unter chronischen Schmerzen und Beschwerden. Viele können Kinder nur per Kaiserschnitt zur Welt bringen, andere können keine Kinder bekommen, die allermeisten haben Schmerzen beim Sex. Mehr als 200 Millionen Frauen weltweit sind an den Genitalien verstümmelt.
Nur die wenigsten betroffenen Frauen in Kenia wissen, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, zumindest einen Teil ihrer Geschlechtsorgane wiederherzustellen. Deshalb setzt Nahya Mukami auf Information und Aufklärung.
Chirurg Ogala erklärt den Frauen dann bis ins kleinste Detail, was genau gemacht werden kann und wo die Risiken liegen. Oft geht es vor allem darum, die Klitoris zu rekonstruieren, den Vaginalkanal zu öffnen und Narbengewebe zu entfernen. Der Eingriff kann ambulant und bei Bewusstsein geschehen, doch weil das für viele Frauen zu sehr an die Gewalt erinnert, die ihnen angetan wurde, finden die meisten OPs unter Vollnarkose statt.
Die «Dotted Lines Initiative» arbeitet mit einem Krankenhaus zusammen, das ihnen den OP-Saal und die Zimmer für einen etwas günstigeren Preis zur Verfügung stellt. Sie kommt dann mit ihrem Team von Chirurg und Krankenschwestern, die sich mit dem sensiblen Thema auskennen. Für viele Frauen verbessert sich nach der OP nicht nur das Körpergefühl, sondern auch die mentale Gesundheit.
2017 fand die erste Rekonstruktions-OP in Kenia statt, organisiert und subventioniert von der NGO ClitorAID aus den USA. Seitdem gehört sie zur Facharztausbildung der plastischen Chirurgen in dem ostafrikanischen Land. Es kommen etwa 30 praktizierende plastische Chirurginnen und Chirurgen auf knapp 56 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.
«Uns ist wichtig, dass die Frauen gut versorgt sind», sagt Nahya Mukami. Deswegen endet die Begleitung nicht nach der OP, sondern geht mit psychologischer Betreuung weiter. Mukami und ihr Team wollen künftig auch Stipendien für die Weiterbildung von Frauen und Mädchen organisieren. Denn Mukami findet: «Es ist wichtig, den Frauen, denen solche Gewalt angetan wurde, eine positive Perspektive zu bieten.»
Autor:Online-Redaktion |
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