Kenia
Rutos afrikanischer Traum
Die Wahlen in Kenia Anfang August wurden überschattet von einem Zerwürfnis innerhalb der Wahlkommission vor der Bekanntgabe der Resultate.
Von Bettina Rühl
Der unterlegene Kandidat Raila Odinga bezweifelte das Ergebnis. Der 77-Jährige lag laut dem offiziellen Ergebnis äußerst knapp hinter dem bisherigen Vizepräsidenten William Ruto (55), der die Wahl gewann.
Laut dem von der Wahlkommission IEBC veröffentlichten Ergebnis kam Ruto auf knapp 50,5 Prozent der Stimmen und damit auf die für die Übernahme des Präsidentenamtes erforderliche absolute Mehrheit. Für seinen Herausforderer Odinga votierten demnach etwas mehr als 48,8 Prozent der Wähler. Zwei weitere Kandidaten erhielten jeweils deutlich weniger als ein Prozent der Stimmen.
Kurz vor der Veröffentlichung der Ergebnisse hatten vier der sieben Mitglieder der Wahlkommission erklärt, dass die letzte Phase der Auszählung «undurchsichtig» gewesen sei, und dass sie diese nicht unterstützen könnten. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag vergangener Woche begründete die stellvertretende Kommissionsvorsitzende Juliana Cherera den Schritt unter anderem mit mathematischen Ungereimtheiten bei der Zusammenzählung der Stimmen. Raila Odinga hat das Ergebnis inzwischen auch vor Gericht angefochten und Einspruch beim Obersten Gerichtshof eingelegt. Trotz der Irritationen gratulierten mehrere Staatschefs aus Afrika Ruto vergangene Woche zum Wahlsieg.
William Ruto stammt aus bescheidenen Verhältnissen im bergigen Rift Valley im Zentrum Kenias. Der 55-Jährige erzählt manche Geschichten aus seiner Vergangenheit deutlich lieber als andere: Wie er zu Fuß weite Wege in die Schule gehen musste, dass er erst mit 15 sein erstes Paar Schuhe bekommen habe, und wie er Hühner und Erdnüsse am Straßenrand verkauft habe, um zu überleben. Er schaffte es, sein Studium zu finanzieren, machte einen Abschluss in Botanik und Zoologie.
Dass Ruto es schließlich an die Spitze des ostafrikanischen Staates schaffte, ist eine beeindruckende Karriere. «Selbst Kritiker räumen ein, dass er charismatisch, fleißig und voller neuer Ideen ist», schreibt Declan Walsh, leitender Afrika-Korrespondent der «New York Times» über den derzeitigen Vizepräsidenten. Mut und Selbstbewusstsein gehören zu einem solchen Aufstieg wohl auch. Rutos klug gewähltes Wahl-Narrativ war, dass eine solche Traumkarriere künftig in Kenia deutlich normaler sein soll. Den zwei Dritteln der Gesellschaft, die in prekären Verhältnissen leben und nun auch noch mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und den steigenden Lebensmittel- und Treibstoffpreisen kämpfen, versprach er eine wirtschaftliche Umkehr. Sein Wahlmanifest widmete er denjenigen, die «am unteren Ende der Pyramide» stehen und kündigte Mindestpreise für landwirtschaftliche Produkte, Subventionen für Düngemittel sowie Unterstützung für die Gründung von Kleinstunternehmen an.
Worüber Ruto nicht so gerne spricht: Er besitzt selbst längst ein ansehnliches Vermögen. Erworben hat er es während seiner politischen Laufbahn: Seit 1997 hatte er verschiedene politische Posten inne und war mehrfach Minister. Laut «New York Times» gehören ihm unter anderem ein zehn Quadratkilometer großer landwirtschaftlicher Betrieb, ein Luxushotel und eine Hühnermast.
Am wenigsten gern wird Ruto an seine mutmaßliche Rolle bei den politischen Unruhen in Kenia nach den Wahlen von 2007 erinnert. Der Internationale Strafgerichtshof warf ihm indirekte Mittäterschaft an Morden und Vertreibungen vor und klagte ihn 2012 an.
Was der angehende Staatschef im neuen Amt auf jeden Fall brauchen wird, ist die Fähigkeit zu Ausgleich und Kompromiss. Knapper hätte die Wahl zwischen ihm und dem Oppositionellen Raila Odinga kaum ausgehen können, die Wähler sind gespalten. Vielleicht noch wichtiger wird es sein, diejenigen wieder für die Demokratie zu begeistern, die aus Frust über die Politik nicht gewählt haben. Mit rund 65 Prozent war die Wahlbeteiligung für kenianische Verhältnisse historisch niedrig. Ob der ehrgeizige, und manche sagen skrupellose Aufsteiger dazu die Fähigkeit hat, muss sich erst zeigen.
(epd/red)
Autor:Online-Redaktion |
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