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Stiller Held auf zwei Rädern

Judenretter und Radlegende: Die Seite aus der Zeitschrift  »Le Miroir des Sports« vom 19. 7. 1938 zeigt den Radrennfahrer  Gino Bartali (1914–2000) bei einer Bergetappe während der 32. Tour de France im Jahr 1938. | Foto: epd-bild
  • Judenretter und Radlegende: Die Seite aus der Zeitschrift »Le Miroir des Sports« vom 19. 7. 1938 zeigt den Radrennfahrer Gino Bartali (1914–2000) bei einer Bergetappe während der 32. Tour de France im Jahr 1938.
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»Ich bin nur ein Radfahrer«: Der Italiener Gino Bartali stand für sportliche Leistung und Fairness. Doch er hat auch Hunderten Juden das Leben gerettet.
Von Bettina Gabbe

Er war ein stiller Held. Gino Bartali (1914–2000) hat nie viel über seinen Einsatz für verfolgte Juden gesprochen. »Fahrradfahren war mein Beruf, und ich musste ihn machen«, sagte die italienische Radsportlegende. »Ich habe ihn damals denen zur Verfügung gestellt, die es brauchten.«
Was er meinte: Während der deutschen Besetzung Italiens rettete Bartali Hunderte Juden vor der Deportation, indem er auf angeblichen Trainingstouren gefälschte Papiere an Kontrollposten vorbeischmuggelte. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erklärte ihn zu einem »Gerechten unter den Völkern«.
Nun startete ihm zu Ehren das wichtigste italienische Radrennen, der Giro d’Italia, am 4. Mai in Jerusalem – erstmals außerhalb von Europa. In Zeiten, in denen Dopingskandale den Radsport in Verruf gebracht haben, wollen die Organisatoren des Rennens mit Hilfe des großen Namens wohl auch an die alte Tradition anknüpfen, als sportliche Höchstleistungen mit Heldentum verbunden waren. Gino Bartali gewann drei Mal den Giro d’Italia und zwei Mal die Tour de France, das erste Mal 1938.
Dann unterbrach der Zweite Weltkrieg seine Sportlerkarriere. Als Mechaniker verdiente der fromme Katholik in einer Fahrradwerkstatt nahe Florenz notdürftig seinen Unterhalt, als sich Erzbischof Elia Angelo Dalla Costa bei ihm meldete.
Gemeinsam mit dem Oberrabbiner von Florenz, Nathan Cassuto, hatte Dalla Costa 1943 im deutsch besetzten Italien eine Untergrundorganisation gegründet, die Juden mit Hilfe von gefälschten Papieren vor der Deportation bewahrte. Und dafür wurde Bartalis Hilfe gebraucht: Der Erzbischof bat ihn, gefälschte Dokumente für Florentiner Juden aus einer Druckerei in Assisi in die Toskana zu schmuggeln.
Und Bartali fuhr: Rund 180 Kilometer von Florenz aus über die Hügel der Toskana in das hoch oben im malerischen Grün Umbriens liegende Assisi. Dort holte er Ausreisepapiere und fuhr wieder zurück – am selben Tag. Das Ganze war getarnt als Trainingstouren. Die Papiere versteckte Bartali im Fahrradrahmen, unter dem Sattel oder im Lenkrad. So verhalf er rund 800 Juden zur Ausreise. Auf einer Fahrt nach Assisi wurde er angehalten und festgenommen. Doch einer der Soldaten erkannte den berühmten Radrennfahrer. Er wurde umgehend wieder freigelassen – und fand sein Fahrrad unberührt.
Seinen Kindern verbot Bartali später, über seine Rolle im Untergrund zu sprechen. »Wenn du darüber redest, nutzt du das Unglück anderer für dich aus«, warnte er seinen Sohn Andrea. Er wolle wegen seiner sportlichen Leistungen in Erinnerung bleiben. Wahre Helden seien andere. »Ich bin nur ein Radfahrer.«
Nach dem Krieg gewann er 1946 den Giro d’Italia und 1948 ein zweites Mal die Tour de France. Und machte sich darüber hinaus durch seine Fairness einen Namen. Das berühmteste italienische Foto aus dem Radsport zeigt, wie Bartali bei einem Rennen seinem ewigen Rivalen Fausto Coppi eine Wasserflasche reicht – ein Symbol für Solidarität, die die Grenzen der Konkurrenz sprengt.
Der Glanz der sportlichen Leistungen und menschlichen Größe verhalf dem Radsport in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Bedeutung, die auf politische und gesellschaftliche Konflikte Einfluss nahm. Auch daran möchte der Giro mit der Israel-Etappe als Zeichen für Frieden und Aussöhnung in einer Zeit wachsender Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern anknüpfen.
Beim ersten Giro d’Italia nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Teilnehmer des Rennens noch mit Steinen beworfen, als sie auf dem Weg in das damals von Italien und Jugoslawien beanspruchte Triest waren. Unter dem Schutz von US-Soldaten fuhren daraufhin einige dennoch bis in die Hafenstadt. Für die einen vermied das Sportereignis somit eine gewaltsame Eskalation der Spannungen zwischen Italienern und Slowenen in Triest. Für andere bekräftigte es Italiens Ansprüche auf die Stadt, die bis 1954 als freies Territorium unter internationalem Schutz weder zu Italien noch zu Jugoslawien gehörte.
Und als Italien nach einem Attentat auf den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, im Juli 1948 am Rand eines Bürgerkriegs stand, gewann Bartali überraschend die Tour de France. Togliatti rief seine Anhänger zur Mäßigung auf – aber der Sieg Bartalis in Frankreich, so erzählt man sich in Italien, habe damals wesentlich zur Beruhigung der explosiven politischen Lage beigetragen.
(epd)

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Online-Redaktion

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