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"Kneipenpastor"
Anhänger empört, Pfarrer erleichtert

Weil er sich nicht an die Regeln hält, darf Titus Schlagowsky alias «Der Kneipenpastor» nicht mehr im Namen der hessen-nassauischen Landeskirche predigen. Seine Anhänger sind empört, Pfarrerinnen und Pfarrer vor Ort erleichtert.

Von Carina Dobra

Eine kleine Eck-Kneipe im rheinland-pfälzischen Nastätten, Zigarettenqualm liegt in der Luft. Titus Schlagowsky, breiter Typ, Vollbart, Lederweste, lehnt lässig an der Theke und schwätzt mit zwei Stammgästen. Das Holzkreuz an der Wand hängt wie aus einer anderen Welt neben Blechschildern der Hamburger Kult-Biermarke Astra mit leicht bekleideten Damen.

Schlagowsky ist Kneipier aus Leidenschaft. Und im Auftrag Jesu Christi unterwegs. Mehrmals im Monat bringt der 52-jährige Sachse die frohe Botschaft unter seine Gäste. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er die Kneipe «Schöne Aussicht». Zu Gott gefunden hat der gelernte Schreiner in seiner Zeit im Knast, wie er mit Zigarillo im Mundwinkel erzählt. Drei Jahre saß er ein wegen Steuerhinterziehung.

Wieder in Freiheit, absolvierte er eine Prädikantenausbildung bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), mit der er auch ohne abgeschlossenes Theologiestudium Gottesdienste leiten kann. Im Rhein-Lahn-Kreis predigt er vor den Bewohnern von Senioren- und Behinderteneinrichtungen. Während des Corona-Lockdowns hatte er begonnen, Gottesdienste und Andachten in seiner Kneipe aufzuzeichnen und auf YouTube zu stellen.

Damit möchte Schlagowsky Menschen begeistern, die nicht viel mit Kirche zu tun haben. Zu seinen Andachten kommen meist Stammgäste, nach eigenen Angaben auch Leute aus Frankfurt und Umgebung. «Rudi!
Hinsetzen, Bier trinken!», brüllt der Kneipenwirt, als ein kleiner, älterer Herr mit zerzaustem Haar zur Tür reinkommt. «Der Rudi zum Beispiel. Der kommt zur Andacht.»

«Die Kneipe erdet dich», ist der Ex-Häftling überzeugt. Der Stress mit der Frau, Geldsorgen, «hier kriegst du das alles eins zu eins erzählt», sagt er und betont: «Ich habe selbst tief in der Scheiße gesessen, ich weiß wie es denen geht.» Jene Leute versucht der Gastronom bei seinen Andachten etwa mit dem «Abriss der Woche» abzuholen. Dabei hält er Schlagzeilen der BILD-Zeitung in die Kamera wie «RKI-Chef Wieler hat es schon wieder verbockt». Schlagowsky wettert, die Corona-Zahlen würden nicht stimmen. Stattdessen präsentiert er seinen Zuschauern eine Grafik mit den «richtigen Zahlen» - erstellt von «findigen Leuten aus Nastätten».

Schlagowsky provoziert - und sorgt für Unruhe in der 4.000-Einwohner-Gemeinde im Hintertaunus. Darauf reagiert die Kirche nun und lässt Schlagowskys Beauftragung als Prädikant im September auslaufen, wie der Leiter der EKHN-Öffentlichkeitsarbeit, Stephan Krebs, bestätigt. Grundsätzlich findet er die Idee von Kneipengottesdiensten gut, aber: «Wir stehen für einen achtsamen Umgang mit Menschen. Und da fehlt's.»

Außerdem gehe es der EKHN um eine angemessene Sprache, die Schlagowsky nicht einhalte, wie Krebs sagt: «Wenn man Politikerinnen und Politiker in die Nähe von Idioten rückt, ist das einfach ein Schritt in die Respektlosigkeit.»

Auch im Dekanat ist man nicht gut zu sprechen auf den
Hobby-Pastor: «Anfangs haben wir eine Chance darin gesehen, dass er Leute erreicht, die wir nicht erreichen. Dann hat er sich aber schnell losgesagt und einfach sein Ding gemacht», berichtet der Propst für Rheinhessen und Nassauer Land, Klaus-Volker Schütz.

Der Kneipenpastor vermutet, dass die Kirchenleitung neidisch auf ihn ist: «Weil ich Menschen erreiche, die nicht in der Kirche zu treffen sind.» Ein zurückliegendes Gespräch unter anderen mit der Dekanin vor Ort sei ein «Kreuzverhör» gewesen, so Schlagowsky. Propst Schütz dazu: «Für Schlagowsky ist jedes Gespräch ein Kreuzverhör , wenn es ihm gegen den Strich geht.»

Seine kleine Fangemeinde steht hinter dem selbst ernannten
Pfarrer: «Durch Titus bin ich dem Glauben wieder näher gekommen, weil er die Dinge beim Namen nennt», schwärmt etwa die Rechtsanwaltsgehilfin Nicole Debus (50). Die Odenwälderin und einige weitere Schlagowsky-Anhänger haben Briefe ans Dekanat geschrieben und ihren Frust bekundet.

Ein Kirchenaustritt für den leidenschaftlichen Kneipier keine Option. «Der Haufen ist in die Jahre gekommen und du kannst am besten etwas verändern, wenn du in dem Verein bleibst». Rudi, der an seinem Astra nippt, klatscht Beifall. Längst hat Schlagowsky eine neue Idee:
«Der Kirchenbus» - ein ausrangierter Linienbus mit Altar und Taufbecken. Dort will er schon bald die Sakramente ausführen - dann aber nicht mehr im Namen der Landeskirche.

Autor:

Beatrix Heinrichs

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