»Das Judaskreuz«: In seinem historischen Krimi zeigt William Boehart, wie stark der Judenhass schon im deutschen Kaiserreich war
Aufzeichnungen aus dem Treibhaus des Antisemitismus
Von Irmela Hennig
Ich habe den Sieg des Judentums über das Germanentum vorausgesagt. (…) Wir wählen die Fremdherrschaft in die Parlamente. (…) Es gilt (…), das deutsche Vaterland vor der Verjudung zu bewahren.« Das ist kein Zitat aus einer Propagandaschrift des Dritten Reichs. Der Text ist Fiktion. Doch er fasst zusammen, was im Kaiserreich der 1870er Jahre tatsächlich gedacht und auch ausgesprochen wurde. Schon damals wuchs (wieder) eine judenfeindliche Stimmung im Land.
Diese bildet zusammen mit den Erfahrungen der gescheiterten Revolution von 1848/49 den Hintergrund für William Boeharts Roman: »Das Judaskreuz«.
Die eingangs zitierten Sätze fallen in einer Herrenrunde gleich zu Beginn des Romans. 1879 gründen in Berlin die Männer gerade eine Antisemiten-Liga. Die will mit Hetzschriften und Versammlungen den vermeintlichen Siegeszug des jüdischen Bürgertums stoppen. Eine kleine Gruppe dieser neuen Bewegung schreckt aber auch nicht davor zurück, auf jüdischen Friedhöfen und am geplanten Standort eines Denkmals für Gotthold Ephraim Lessing Propagandaplakate zu verteilen oder eine Synagoge anzuzünden.
In diese aufgeheizte Stimmung bettet Boehart einen Krimi ein. Es gilt, Morde aufzuklären – den an einem jüdischen Unternehmer aus Hamburg und an einem möglichen Zeugen. Aber auch ein zurückliegendes Verbrechen an einer Frau, die in den Revolutionsjahren für die Emanzipation gekämpft hatte und deren Leiche man später aus dem Wasser zog.
Ein Hamburger Polizist, ein vom Leben enttäuschter Möllner Advokat und eine junge Frau versuchen, die Fälle zu lösen. Sie geraten dabei in einen Strudel aus Antisemitismus, Homophobie, Korruption und tiefem Hass. Auch die gescheiterte Revolution von 1848 spielt eine Rolle.
Boehart hat aus all dem ein extrem komplexes Buch gemacht. Dabei zeigt er deutlich, dass der Judenhass und der Holocaust nicht aus dem Nichts gekommen sind. Ausgrenzung anderer, Ablehnung von Demokratie und Meinungsfreiheit – all das fand erst in kleinen Gesprächsrunden Gehör und später auf der Straße. Zugleich zieht sich Lessing als roter Faden durch die 500 Seiten. Sein »Nathan, der Weise« und seine Gedanken über die Gleichwertigkeit von Religionen werden immer wieder aufgegriffen.
In diesem philosophisch-literarischen Kontext geht der Krimi fast ein bisschen unter. Die Figuren sind teils wandelnde Klischees: die Hosen tragende Revoluzzerin, der flirtenden, Zigarre paffende Polizei-Sergeant. Spannend ist der Roman dennoch. Vor allem aber wirft er auch einen Blick auf das Heute. Die Ausgrenzung anderer, die Ablehnung des vermeintlich Fremden – all das ist im 21. Jahrhundert nicht überwunden.
Autor:Online-Redaktion |
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