Vor 200 Jahren wurde die «Neunte» uraufgeführt
Beethovens Erhabenheit
Wohl kaum ein Werk hat die Musikgeschichte so geprägt wie die 9. Sinfonie von Beethoven mit der berühmten «Ode an die Freude». Die Rezeption ist rekordverdächtig. Selbst Experten entdecken immer noch etwas Neues.
Von Katharina Rögner (epd)
Den tosenden Applaus hat er nicht mehr hören können. Ludwig van Beethoven (1770 - 1827) war bereits taub, als seine 9. Sinfonie in Wien am 7. Mai 1824 uraufgeführt wurde und das Publikum vor Begeisterung tobte. Heute ist das Werk eine der bekanntesten Kompositionen der Musikgeschichte. Auch 200 Jahre nach seiner Entstehung hat die «Neunte» ganz offenbar von ihrer Energie nichts eingebüßt. Die «Ode an die Freude» im vierten Satz ist längst ein Klassik-Hit und seit 1985 offizielle Hymne der Europäischen Union.
Tipp
Der Dokumentarfilm «Die Macht der Musik» wird am Dienstag, 7. Mai,
20:15 Uhr, bei ARTE ausgestrahlt. Das Konzert mit der 9. Sinfonie aus vier Städten ist am 7. Mai, ab 21:40 Uhr bei ARTE zu sehen.
Dass ein Chor in einer Sinfonie auftritt, war damals völlig neu. Der Direktor des Bonner Beethoven-Hauses, Malte Boecker, sagt: «Das war revolutionär.» Beethoven habe das Gedicht «An die Freude» von Friedrich Schiller (1759-1805) schon als junger Mann kennengelernt und die Idee mit sich herumgetragen. Sein Werk mit dem Lobgesang am Schluss habe die Menschen immer wieder berührt.
Dass die 200 Jahre alte Sinfonie heute noch fasziniert, spreche in erster Linie für ihre hohe musikalische Qualität, erklärt Boecker. Das Werk sei hochkomplex und einfach zugleich. Die Originalpartitur gehört zum Unesco-Weltdokumentenerbe.
Und Stardirigentin Joana Mallwitz sagt: «Es gibt fast kein ernstzunehmendes Musikstück nach Beethovens 9. Sinfonie, was sich nicht zu diesem Werk verhalten musste.» Kaum eine zweite Komposition in der sinfonischen Literatur hat eine so breite und vielschichtige Rezeptionsgeschichte entfaltet wie Beethovens letzte Sinfonie.
Zahlreiche Komponisten haben sich mit ihr auseinandergesetzt.
Mallwitz ist zum 200. Geburtstag der «Neunten» an einem ungewöhnlichen Projekt beteiligt: Initiiert vom Fernsehsender Arte spielen am Jahrestag der Uraufführung vier renommierte Orchester an vier geschichtsträchtigen Orten jeweils einen Satz der 9. Sinfonie.
Beteiligt ist unter anderem das Leipziger Gewandhausorchester unter der Leitung von Andris Nelsons. Übertragen wird das gesamte Werk am 7. Mai aus Leipzig, Paris, Mailand und Wien live, wenn auch leicht zeitversetzt. Die vier Städte stehen in enger Verbindung zu Beethovens Leben und Werk.
Im begleitenden Dokumentarfilm «Die Macht der Musik» betont der finnische Dirigent Klaus Mäkelä: «Ich glaube, es gibt weltweit kaum ein Stück mit einer größeren Wirkung». Es sei wie bei einem großen
Gemälde: «Man kann es tausendmal anschauen und jedes Mal entdeckt man etwas Neues, das passiert nur bei den größten Meisterwerken», sagt Mäkelä, der wie Mallwitz einen Satz beim Arte-Konzert dirigieren wird.
Die «Ode an die Freude» - ein Appell für ein friedliches Miteinander, für Menschlichkeit und Brüderlichkeit - breitet ein weltumspannendes Thema aus. So sehr, dass das Werk oft überstrapaziert wurde und laut Boecker eine «hemmungslose Vermarktung» stattgefunden hat.
Die «Neunte» sei wohl zudem eines der am stärksten politisch vereinnahmten und instrumentalisierten Stücke. Die Nationalsozialisten nutzen die Sinfonie für ihre Propaganda. Die Ode erklang beispielsweise zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.
Die DDR-Führung interpretierte die Textzeile «Seid umschlungen, Millionen» als sozialistische Friedensmusik und nutzte sie, um die Jugend im Sinn der sozialistischen Völkerfreundschaft zu erziehen.
1972 erklärte dann der Europarat Beethovens «Ode an die Freude» zu seiner Hymne.
Der italienische Dirigent Riccardo Chailly sieht auch einen religiösen Moment in der «Neunten»: Der langsame dritte Satz sei wie eine übermenschliche Meditation, sagt er in der Arte-Dokumentation.
Er beginne mit einem deutlich religiösen Charakter. Chailly, der in Mailand am Arte-Projekt beteiligt ist, sieht darin Beethovens Auseinandersetzung, sein ganz persönliches Gespräch mit Gott.
Generell findet er: «Ich denke, dieser Gegensatz der Extreme ist eines der Geheimnisse hinter Beethovens Erhabenheit.»
1989 wurde die 9. Sinfonie zur Musik der deutschen
Wiedervereinigung: Nach dem Mauerfall reiste der Komponist und Dirigent Leonard Bernstein nach Berlin und leitete zu Weihnachten jeweils eine Aufführung der «Neunten» im Osten und im Westen der Stadt. In diesem historischen Moment griff er an entscheidender Stelle sogar in den Chortext ein: Wo es sonst im Werkfinale «Freude, schöner Götterfunken» heißt, ersetzte Bernstein die «Freude» durch das Wort «Freiheit».
Im Programmheft verteidigte er diesen Eingriff: Er sei sicher, dass Beethoven ihm seinen Segen gegeben hätte, schrieb er. Kein Werk erschien ihm wohl geeigneter als die «Neunte», die große Begeisterung über das Ende der deutsch-deutschen Grenze wiederzugeben. Mallwitz stimmt ihm zu: «Ich bin mir sicher, Beethoven wäre ausgerastet vor Freude.»
Autor:Online-Redaktion |
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