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Glaube und Heimat
Berührendes Evangelium

Bekennt sich zu seinem Glauben: Christoph Rott, gespielt von Raphael von Bargen.  | Foto: Moritz Schell/Theater Josefstadt
  • Bekennt sich zu seinem Glauben: Christoph Rott, gespielt von Raphael von Bargen.
  • Foto: Moritz Schell/Theater Josefstadt
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Die Kirchenzeitung verdankt ihren Namen einem Theaterstück des Wiener Arztes und Schriftstellers Karl Schönherr. Derzeit wird das Stück im Wiener ­Theater in der Josefstadt gegeben.

Von Willi Wild

Bislang hatte ich noch keine Gelegenheit, das Drama über protestantische Tiroler Bauernfamilien zu sehen, die durch ein Edikt von Kaiser Ferdinand I. aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Der Auswanderung konnten die »Zillertaler Inklinanten« (dem Protestantismus zugeneigte Katholiken, die auch als Sektierer bezeichnet wurden) nur entgehen, wenn sie dem angeblich »ketzerischen« Glauben abschwören. Das Stück wird in unseren Breiten selten gespielt, zumal der Autor nahezu in Vergessenheit geraten ist.
Mein Vorgänger Martin Hanusch gab mir den Hinweis auf die letzte Theaterkritik des österreichischen Kabarettisten, Moderators und Autors Werner Schneyder. Für die Österreich-Ausgabe der Wochenzeitung »Die Zeit« schrieb er die Kolumne »Der Theaterbesucher«. Schneyder verstarb am 2. März. Kurz vorher, am 28. Februar erschien seine letzte Analyse unter anderem über die »Glaube und Heimat«-Inszenierung der österreichischen Theaterregisseurin Stephanie Mohr. »Wer sich die beiden missbrauchten und missdeuteten Hauptwörter dieses Titels bewusst macht, weiß um die Herausforderung«, schreibt Schneyder. »Kann ein Theaterstück da etwas erklären, erhellen?«, fragt er weiter. »Nein. Aber darstellen, vorführen«, so sein Schluss. Das könne Schönherrs literarisches Volksstück. Vor allem, wenn man den Stoff so realisiere wie Stefanie Mohr, schwärmt Schneyder. Das macht mich neugierig.
Das Theater in der Josefstadt ist nicht nur eine der ältesten Spielstätten Europas, es ist mit 350 000 Besuchern und über 700 Aufführungen pro Spielzeit auch eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Bühnen. Ist es da mutig, ein relativ unbekanntes Stück mit religionskritischem Inhalt in den Spielplan aufzunehmen? Die Resonanz scheint dem Team von Direktor Herbert Föttinger recht zu geben. Auch die Aufführung, die ich besucht habe, war nahezu ausverkauft.
Roter Damast, Goldschmuck und venezianische Lüster. Die Einrichtung des Theaters erinnert an die Verpackung von Mozartkugeln. Im Gegensatz dazu das spartanische Bühnenbild. Düster beginnt eine Art Horrorclown mit Paukenschlägen, konterkariert durch das Volkslied »Jetzt kommen die lustigen Tage«. »Schätzel ade« ist die Einstimmung auf das, was den Zuschauern in den zwei Stunden ganz nahekommen soll. Der Abschied entweder von der Heimat oder vom Glauben.
Auf der Drehbühne wechselt das Bild. Ein vertrauter Anblick. So sehen die Kulissen volkstümlicher Boulevardtheater aus. Schnaderhüpferl aus dem Komödienstadl. Allerdings in Moll, denn die heile Welt gibt es nicht. Eine schaurige, von Angst besetzte Szenerie. Bedrückend zu sehen, wie Religion zu Gewalt führt und was Christen in unseren Breitengraden einander angetan haben. Und das ist noch gar nicht so lange her.
Zum Inhalt: Ein Riss geht durch das Land, durch Dörfer und Familien. Auf Geheiß des Kaisers müssen alle Protestanten das Reich verlassen – es sei denn, sie schwören dem lutherischen »Irrglauben« ab. Mit der Figur des Bauern Christoph Rott, überzeugend dargestellt von Raphael von Bargen, wird die Zerrissenheit zwischen der Gewissensentscheidung und rationellen Beweggründen eindrücklich vor Augen geführt.
Mit dem Bekenntnis zum Protestantismus wird er seine Heimat, den Broterwerb, die Existenz und damit auch seine Identität verlieren. Ist das der Glaube wert? Immer wieder stößt er im Bibelstudium auf die Worte Jesu aus den Evangelien: »Wer mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel.« Die Konsequenzen vor Augen, trifft Rott seine Gewissensentscheidung. »Glauben ist Gottessach, über alle Gewalt«, lässt Schönherr den Protagonisten sagen.
Das Stück, uraufgeführt 1910, wurde von der Vertreibung der Zillertaler Protestanten im Jahr 1837 angeregt. Die cirka 500 wegen ihres Glaubens Geflüchteten kamen auch durch Mitteldeutschland. Einige ließen sich hier nieder. Die meisten aber konnten im Preußischen, im heutigen Polen gelegen, endlich sesshaft werden.
Das Stück macht auf radikale und kompromisslose Weise deutlich, was christlicher Glaube bedeutet. Glaube fordert zur Entscheidung heraus. »Folge mir nach und nimm das Kreuz auf dich« (Mk 10,21), auch wenn es existenzielle Konsequenzen hat. Das Vertrauen auf Gott und seine gute Führung ist stärker als die Angst vor Verlust und Verfolgung.
Und noch etwas. Am Ende des Stücks, eine Schlüsselszene, in der das komprimierte Evangelium steckt. Bauer Rott will seinem ärgsten Widersacher, dem blindwütigen Reiter des Kaisers, einer Art Saulus, dargeste­llt von Claudius von Stolzmann, an den Kragen. Doch während Rott die Faust ballt, kommt ihm die Bergpredigt in den Sinn: »Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel« (Mt 5,44 f.).
Rott ringt wieder mit sich. Langsam öffnet sich jedoch seine Faust und wird zur ausgestreckten Hand. Das ist kein Happy End im klassischen Sinn. Ein Glaubensbekenntnis. Frieden und Versöhnung sind möglich. Im Neuen Testament findet Rott dazu die Handlungsempfehlung.
Die Inszenierung in der Josefstadt entlässt das Publikum nachdenklich. Das war keine leichte Unterhaltung, eher Evangelisation im besten Wortsinn. Daumen hoch, eine unbedingte Empfehlung!

»Glaube und Heimat« wird in dieser Spielzeit noch zehn Mal bis 27. Juni im Wiener Theater in der Josefstadt gespielt.

Autor:

Willi Wild

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