Rückblick
Das kann dann mal weg …

In der Martinikirche ist ein Teil der Ausstellung zu sehen. Dort erinnern die originalen Banner von 1989/90 an die Wendezeit. | Foto: Foto: Uwe Kraus
  • In der Martinikirche ist ein Teil der Ausstellung zu sehen. Dort erinnern die originalen Banner von 1989/90 an die Wendezeit.
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Die einen wollen es nicht mehr hören, die anderen können es nicht glauben. Die Ausstellung im Städtischen Museum Halberstadt „Das war dann mal weg …“ mit dem Untertitel „35 Jahre politische Wende in Halberstadt“, die bis zum 2. Februar 2025 von zahlreichen Sonderveranstaltungen begleitet wird, dürfte polarisieren.

Von Uwe Kraus

Das Museum stellt die 1000 kleinen und großen Dinge des täglichen Lebens zwischen Polyplast-Eierbechern, Pommes-Schneidern und grünem SVK-Ausweis, roten Ehrenbannern und Jumo-Jeans in die Vitrinen, die es in seinem Bestand hat.

Die Ausstellung erinnert an Dinge, die es so nicht mehr gibt und die nach dem Verschwinden der DDR in Vergessenheit geraten sind.

Man kann hier das DDR-Leben nachfühlen, ohne der (N)Ostalgie zu verfallen. Zahlreiche großformatige Banner, die während der politischen Wende 1989/90 in der Halberstädter Martinikirche aufgehängt und bei Demonstrationen durch die Straßen von Halberstadt getragen wurden, hängen heute wieder in der „Bürgerkirche“. Die Banner dokumentieren die damaligen Forderungen der Bürger. Dazu gehörten freie Wahlen, Reise- und Meinungsfreiheit, die Zulassung von Oppositionsbewegungen und der Stopp des Abrisses der Altstadt.

Da das Museum nicht genügend Platz für die Präsentation der Banner bietet, kam das Angebot des Vorstands der Evangelischen Kirchengemeinde Halberstadt gelegen, die Martinikirche für eine Begleitausstellung zu nutzen. Nun sind ausgewählte Banner, die provisorisch auf Bett- und Tischtücher geschrieben wurden, an ihren ursprünglichen Ort in der Martinikirche zurückgekehrt.

Im Jahr 1989 feierte Halberstadt 1000 Jahre Markt-, Münz- und Zollrecht, die DDR letztmalig sich selbst, während in der Martinikirche die friedlichen „Gebete für unser Land“ begannen. Und unweit von der Kirche standen einsatzbereit Einheiten der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ aus dem Betonwerk, dem RAW und dem VEB Maschinenbau. Welch Gegensatz, der aber zeigt, wie vielfältig die individuellen Erfahrungen mit dem Land ausfallen, dem ab Oktober 1989 die letzte sozialistische Messe gesungen wurde. Die Zeitzeugengespräche in Kirche und Museum zum Leben in der DDR, zur Rolle der Frau oder zu den Wende-Erfahrungen sind interessant: Wenn jene aufeinander treffen, die einst als Fettauge auf der sozialistischen Soljanka schwammen und jene, die ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die unterdessen nicht zum oft kolportierten Erinnerungsallerlei verwaschen sind. Es gibt keinen Grund, gelebte Zeit in der DDR in die ideologische Tonne zu kloppen – vom Betriebskinderferienlager ohne Fahnenappell bis zum Ernteeinsatz im Grenzgebiet, von der Abiturientin, deren Vater Pfarrer war, von „Manöver Schneeflocke“ bis Halstuch bügeln und Begegnungen mit Wissenschaftlern, die als renitent galten und trotzdem in den Westen reisen durften. Es gab irgendwie und irgendwo so vieles, und so viel durfte so nicht sein. Jeder hatte wohl damals seinen persönlichen Ausreisewunsch – und sei es nur in die schöne DDR, von der die Zeitungen täglich schrieben.
Vielleicht zeigt die Ausstellung vor allem eines: Nicht alles, was verschwunden ist, muss betrauert werden.

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Uwe Kraus

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