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Der Ideengeber für Europa kam aus Japan
Die Europäischen Staaten werden zusammenfinden – oder neuerlich im Krieg versinken. Das war schon im Jahr 1922 die Überzeugung von Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi, der am 27. Juli 1972 verstarb.
Von Simon Kajan
Der Erste Weltkrieg und seine unmittelbaren Folgen hatten gerade die Gräben zwischen den europäischen Staaten unüberwindlich erscheinen lassen, da entwickelte der in Japan geborene Diplomatensohn seine Europakonzeption, die die Grundlage der Paneuropa-Union wurde – der ältesten europäischen Einigungsbewegung.
Coudenhove-Kalergi wuchs in einer polyglotten und multikulturellen Familie auf. Seine Mutter war Japanerin, sein Vater verband die Wurzeln österreichischer und griechisch-byzantinischer Herkunft. In das damals österreichische Böhmen zurückgekehrt, bahnte sich bereits der Erste Weltkrieg an. Nach dem Studium der Rechte und der Philosophie in Wien heiratete der junge Gelehrte die jüdische Schauspielerin Ida Roland. Ihm schwebte eigentlich eine eher kontemplative Zukunft vor – die Zeitumstände sollten aber Anderes fordern.
Schon aufgrund seiner Erziehung durch seinen gleichermaßen frommen wie weltgewandten Vater waren ihm die eingetretenen Wege zuwider und eher Ausdruck von Spießertum. Er begeisterte sich für eine Idee, die er Paneuropa nannte: einen föderativen Staatenbund von Portugal bis Polen. Und das in einer Zeit, in der sich der Nationalismus in vielen europäischen Ländern mit dem Kommunismus einen Wettbewerb leistete.
Doch für den überzeugten Antikommunisten Coudenhove-Kalergi war klar, dass als möglicher Sieger eines neuen europäischen Krieges nur eine Macht infrage kam: Sowjetrussland. 1923 warnte er in seiner programmatischen Schrift "Pan-Europa": Die Geschichte stellt Europa vor die Alternative, entweder sich über alle nationalen Feindseligkeiten hinweg zu einem Staatenbund zusammenzufinden – oder der Eroberung durch Russland zum Opfer zu fallen. Dennoch gewannen in den unruhigen 1920er-Jahren die Gedanken des polyglotten Aristokraten schnell an Anziehungskraft – wenngleich sie eher elitäre Kreise erreichte. Seine Paneuropa-Bewegung verschrieb sich von Anfang an der Einigung der europäischen Staaten als einer Föderation – auf der Grundlage eines christlich-abendländischen Wertefundaments.
Das ging einher mit einem stark ausgeprägten Souveränismus und einer Nichteinmischungsdoktrin, was den Einfluss außereuropäischer Mächte anging – und einer zeittypischen Lust am Autoritarismus. Diese Konzeption zog auch mächtige Politiker an. So den französischen Außenpolitiker und Friedensnobelpreisträger Aristide Briand, der 1930 mit der Denkschrift über die Errichtung einer Europäischen Union für die Einigung Europas ganz im Sinne der Paneuropäer eintrat – angesichts der Gefahr, die den europäischen Frieden politisch, wirtschaftlich und sozial bedrohte. Sein Ruf verhallte ungehört – und Europa stand wenige Jahre später erneut in einem Weltkrieg.
Während der 1930er-Jahre stagnierte der pan-europäische Gedanke. Trotz Gesprächen mit Mussolini war im Deutschen Reich nicht mehr an ein Werben für den Gedanken zu denken – und das für Coudenhove-Kalergi heimatliche Österreich geriet auch zusehends unter Druck. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zwang ihn mit seiner jüdischen Frau in die Emigration.
Politisch wirkmächtig wurden Coudenhove-Kalergis Vorstellungen mit der notwendigen Neuordnung Westeuropas. Dabei konnte er auf einige Weggefährten aus der Vorkriegszeit zählen, wie seinen Mitstreiter Otto von Habsburg, Thronfolger des Hauses Österreich, der ihm an der Spitze der Paneuropa-Union nachfolgen sollte.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit suchten die Paneuropäer die Regierungen zu einer Politik des europäischen Föderalismus zu bewegen. Dazu vereinten sie Abgeordnete der nationalen Parlamente in der Europäischen Parlamentarier-Union, die für die Gründung des späteren Europarates und der Montanunion eine entscheidende Rolle spielen sollte. In den 1950er-Jahren stand Coudenhove-Kalergi für den europäischen Gedanken schlechthin. So war er es, der Beethovens Neunte als Hymne durchsetzte. Die Instrumentalfassung des Hauptthemas "Ode an die Freude" aus dem letzten Satz der Beethoven-Sinfonie nahm der Europarat am 19. Januar 1972 als eigene Hymne an. Bei der Flagge folgte man ihm indes nicht: Man ersetzte das von ihm vorgeschlagene Kreuz durch die zwölf Sterne aus der Apokalypse des Johannes.
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
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