DDR-KIRCHENVERLUSTE # 54
Die verlorene Denkmalskirche des Berliner Doms
In der DDR wurden bis 1988 rund 60 Kirchen auf staatlichen Druck gesprengt. Die wohl bekannteste von ihnen war die Paulinerkirche Leipzig – auch Universitätskirche St. Pauli genannt – im Jahr 1968. Die Serie erinnert an verlorene Sakralbauten in Mitteldeutschland und darüber hinaus.
Die Denkmalskirche Berlin gehörte zum Berliner Dom, sie war an dessen Nordseite Bestandteil des Baukörpers. Der apsisförmige Sakralbau – 24 Meter lang, 24 Meter breit und 21 Meter hoch – war die letzte Ruhe der Prunksarkophage der Hohenzollern und zugleich Zugang zur Hohenzollern-Gruft.
Der Dom zu Berlin
Doch zunächst zum Berliner Dom, offizieller Name „Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin“: Der Sakralbau am Lustgarten auf der Museumsinsel ist die bedeutendste evangelische Kirche in Berlins Ortsteil Mitte – und eine der bedeutendsten dynastischen Grabstätten Europas.
Errichtet in den Jahren 1894–1905 nach Entwürfen von Julius Raschdorff im Stil der Neorenaissance und des Neobarock, ist er mit 6.270 Quadratmetern Grundfläche die flächenmäßig größte evangelische Kirche Deutschlands. Neben Gottesdiensten wird der Dom auch für Staatsakte, Konzerte und Veranstaltungen genutzt.
Im Jahr 1975 wurde die Denkmalskirche gesprengt. Seitdem besteht der Berliner Dom aus der großen Predigtkirche in der Mitte, der kleineren Tauf- und Traukirche an der Südseite sowie der Hohenzollerngruft, die fast das gesamte Untergeschoss einnimmt. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde das Domäußere bis 1984 vereinfacht und das Dominnere bis 2002 originalgetreu wiederhergestellt.
Ursprünglich war der Berliner Dom 114 Meter lang, 73 Meter breit, 114 Meter hoch und hatte 2.100 Sitzplätze. Wegen der abgerissenen Denkmalskirche und der vereinfacht wiederaufgebauten Kuppel ist er nur noch 90 Meter lang, 98 Meter hoch und hat 1.390 Sitzplätze. Die Kuppel hat einen Durchmesser von 33 Metern.
Die mit dem Dom „verwachsene“ Denkmalskirche
Die Denkmalskirche wirkte von Norden ähnlich dem Pantheon in Rom, an dem sich Architekt Julius Carl Raschdorff bei der Planung orientiert hatte. Der Sakralbau war – wie es in einer Publikation von 2020 heißt – „keine Grablege und kein Mausoleum, sondern ein reiner Memorialraum als Schwellenraum zwischen Predigtkirche und Grablege“ – er wurde als „Aufstellungsort bedeutender Kunstwerke als Museum“ genutzt.
Gestaltung
Ein hoher Sockel mit Fenstern, das Hauptgeschoss mit Risaliten sowie eine niedrige Attika mit Kuppel gliederten das Bauwerk. Mächtige Säulen und Pilaster, ein kräftiges Gebälk sowie sich abwechselnde Dreiecks- und Segmentgiebel hoben das Hauptgeschoss hervor. Außerdem schmückten Rahmen, Fenster und Skulpturennischen die Fassade.
Ein eigenes Portal am Nordwestturm führte ins Innere der Denkmalskirche, das aus einem Vorraum, dem großen Hauptraum mit den fünf Kapellen sowie einem Treppenraum zur Hohenzollerngruft am Nordostturm bestand. Hohe Säulen mit breiten Gebälk, auf dem das stuckverziertes Tonnengewölbe mit runder Lichtöffnung ruhte, beherrschten den Hauptraum. Rundbögen verbanden ihn mit den Kapellen, die niedrige Pilaster und schlichte Kreuzgratgewölbe schmückten.
Darin standen die Prunksarkophage von König Friedrich I. und Königin Sophie Charlotte, Kaiser Friedrich III., dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Kurfürstin Dorothea sowie Kurfürst Johann Cicero. In der Bodenmitte des Hauptraums, von dem aus auch eine Tür zur Predigtkirche führte, lag die Gruftöffnung zum Herablassen von Sarkophagen ins Untergeschoss.
Auch standen das Bismarck-Grabdenkmal von Reinhold Begas sowie die Skulpturen „Kreuzabnahme Christi“ von Michael Lock und „Osterengel am Grabe“ von Emil Graf von Görtz im Inneren der Denkmalskirche.
Sprengung 1975
Die DDR-Regierung unter Leitung der SED strebte die Reduzierung der äußerlichen Wirkung des Doms an – um den Eindruck ihres „Palasts der Republik“, der in direkter Nähe entstehen sollte, zu steigern. Sie entschied, beim von der DDR angestrebten Wiederaufbau des Doms die Denkmalskirche und die Unterfahrt abzureißen. So wurde die Denkmalskirche am 30. Oktober 1975 gesprengt. Damit verlor der Berliner Dom die Sarkophag-Sammlung der Hohenzollernfamilie samt Ausstellungsraum – und die Hohenzollerngruft ihren Zugang.
Die Bismarck-Statue wurde zerschlagen, Bauarbeiter retteten deren Kopf vor der Zertrümmerung. Die Skulpturen „Osterengel am Grabe“ und „Kreuzabnahme Christi“ konnten ebenso gerettet werden und stehen heute in der Gruft.
Nach der Sprengung wurden 204 Fassadenteile geborgen, sie lagern seitdem in einem Waldstück in Ahrensfelde. Etwa weitere 230 Fassadenteile werden seit 1997 in einem Depot außerhalb Berlins verwahrt. Dieser Umstand lässt vermuten, dass bereits damals diese Kirchensprengung auch in institutionellen Kreisen nicht von allen gutgeheißen wurde.
Zukunft Wiederaufbau?
Im Zusammenhang mit dem Umbau der Hohenzollerngruft wird über Berlin hinaus seit Jahren über den Wiederaufbau der Denkmalskirche diskutiert. Den fordert etwa der Dombauverein: Laut Vereinsvorsitzenden Horst Winkelmann bliebe der Dom ohne die Denkmalskirche ein Torso.
Darüber hinaus schaffe die Rekonstruktion den Platz für die würdige Aufstellung der wertvollen Prunksarkophage. Außerdem bekäme die Hohenzollerngruft ihren ursprünglichen großzügigen Zugang über die Denkmalskirche zurück.
Laut Denkmalpfleger Peter Goralczyk könnten die hervorragenden Kunstwerke des Berliner Doms nur in der Denkmalskirche einen „angemessenen und für die Öffentlichkeit zugänglichen Aufstellungsort“ bekommen. Ein Wiederaufbau würde die „Darstellung von Geschichte in der Stadt außerordentlich bereichern“.
Laut Dombaumeisterin Charlotte Hopf liegen in der Plansammlung des Domarchivs fast 500 Originalzeichnungen der Denkmalskirche: Grundrisse und Schnitte sowie Außen-, Innen- und Detailansichten. Sie sei nach der Predigtkirche der „am umfangreichsten zeichnerisch überlieferte Gebäudeteil“.
Der einstige Dombaumeister Rüdiger Hoth fordert, dass die Denkmalskirche „wiederaufgebaut wird“ und die Prunksarkophage „wie früher würdig präsentiert werden“. Das Fehlen des Gebäudeteils an der Nordseite sei ein „Makel“. Und merkt zugleich an: Beim Thema Hohenzollern „winken alle ab“ – während in Italien mit dem Erbe der Medici „viel sorgsamer umgegangen wird“.
Ende Dezember 2018 berichtete die Berliner Zeitung, das große Besucherinteresse an der Hohenzollerngruft habe neue Bewegung in die Diskussion um den Wiederaufbau der Denkmalskirche gebracht. Neben dem Aufbau des Stadtschlosses und dem Ausbau der Museumsinsel läge auch die Rekonstruktion der Denkmalskirche nahe. Hundert Jahre nach dem Ende der Monarchie sollten alle Beteiligten „befreit von der Hohenzollernlast“ die Diskussion um die Nutzung der Denkmalskirche führen. Die Feiern im November 2018 hätten gezeigt, dass die Öffentlichkeit „auch für diesen Teil der deutschen Geschichte“ bereit sei.
Die Domarchitektin Sonja Tubbesing bezeichnet die Überreste der Denkmalskirche als einen „einzigartigen Schatz, den es zu heben gilt, schon aus Respekt vor der Geschichte unserer Baukultur“. Für die Rekonstruktion ließen sich Einzelteile wiederverwenden, aus dem Schandfleck am Dom könne „in naher Zukunft wieder ein Schmuckstück entstehen“. Es gehe dabei nicht um die Schaffung einer Gedenkstätte für die Hohenzollern, sondern um die Einrichtung eines Museums zu diesem Thema. Die Projektleiterin des Gruft-Umbaus, Claudia Kruschel, schlägt ebenfalls die „museologische Nutzung“ der wiederaufgebauten Denkmalskirche vor.
Die Entscheidung zum Wiederaufbau der Denkmalskirche liege beim Domkirchenkollegium. Das habe diesem Ziel im Jahr 2011 grundsätzlich zugestimmt – und noch offene Fragen zur Nutzung, Architektur und Finanzierung. In diesem Zusammenhang hoffe die Domverwaltung auf Unterstützung vom Bund, dem Land Berlin und privaten Spendern.
Und der Berliner Dom?
Den Wiederaufbau des Berliner Doms begleitete eines der bestgehüteten Geheimnisse der DDR: die Finanzierung dieses Wiederaufbaus. Hintergrund: Die DDR ließ sich jenes fast zwei Jahrzehnte dauernde Bauvorhaben komplett in D-Mark vom damaligen „Klassenfeind“ bezahlen – von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland sowie von der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) jenseits der deutsch-deutschen Grenze jener Zeit.
Die Kosten für den Wiederaufbau betrugen schlussendlich stolze 150 Millionen D-Mark – sie wurden in einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Februar 1993 eher beiläufig öffentlich bekannt.
Diese Komplett-Finanzierung galt – so heißt es in mehreren Zeitdokumenten – die grundlegende Voraussetzung für die DDR-staatliche Zustimmung zu Kirchenbauprogrammen in der DDR (= Sanierung von Kirchengebäuden sowie Neubau von Kirchen in Neubaugebieten). Diese bezahlten ebenfalls die Bundesregierung, die EKD sowie die Katholische Bischofkonferenz im Westen – die Kosten betrugen mindestens 560 Millionen D-Mark.
Diesen für die DDR-Führung äußerst lukrativen Geschäftsbereich leitete Alexander Schalck-Golodkowski, hochrangiger Wirtschaftsfunktionär der DDR, Leiter des Bereichs für Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außenhandel sowie Oberst im Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Schillernder Mit-Akteur auf kirchlicher Seite war Manfred Stolpe, ab 1969 Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und ab 1982 dessen stellvertretender Vorsitzender.
Fazit
Die Wiederaufbau-Kosten für den Berliner Dom betrugen 150 Millionen D-Mark. Diese für die damalige Zeit atemberaubende Summe ist zugleich die Erklärung für ihre Geheimhaltung: Offenbar galt es die Kunde im Arbeiter-und-Bauern-Staat zu unterdrücken, dass – direkt neben dem nach römischem Motto „Brot und Spiele“ geschaffenen DDR-Prestigebau „Palast der Republik“ – für sehr viel Westgeld ein historisch bedeutsames, offiziell anachronistisches Gotteshaus wiederersteht.
Das, was wiedererschaffen wurde, ist zweifellos von herausragender kunsthistorischer Qualität. Doch all das Augenblendende vernebelt bestenfalls den Fakt:
Der Berliner Dom ist ohne die Denkmalskirche nicht mehr als ein teurer Torso.
Koordinaten: 52° 31′ 9″ N, 13° 24′ 4″ O
https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Dom#Denkmalskirche
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)
Autor:Holger Zürch |
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