Nürnberg: Auf den Spuren des "Piano Man"
Eine fränkisch-jüdische Tragödie
Der «Piano Man», der mit Hits wie «Just the way you are» oder «Uptown Girl» zum Star wurde, ist in der New Yorker Bronx geboren – doch seine Wurzeln liegen in Mittelfranken. Sein Vater Helmut Joel, ein begeisterter Klavierspieler, kam 1923 in Nürnberg zur Welt.
Am Schicksal der Familie Joel spiegeln sich die Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung der Juden in Nazi-Deutschland. Der Nürnberger Journalist und Buchautor Steffen Radl-maier hat die Geschichte der Familie Mitte der 1990er-Jahre wieder entdeckt. Damals sei er bei seinen Recherchen Gerüchten gefolgt, nach denen die Ursprünge der jüdischen Familie in Franken liegen sollten, erklärt er. Billy Joels Großvater Karl Amson Joel kommt aus Colmberg und eröffnet 1928 in Nürnberg mit seiner Frau Meta einen Versandhandel für Textilien und Kleidung nach amerikanischem Vorbild. Er beginnt mit der Produktion von Bettwäsche sowie Stoff- und Meterware. Das Geschäft floriert. Doch die Joels verlegen aufgrund des immer judenfeindlicher werdenden Umfelds in Nürnberg bereits 1934 den hauptsächlichen Geschäftsbetrieb nach Berlin, ein Jahr nach der Machtübernahme Hitlers. 160 Eisenbahnwaggons werden gebraucht, um Ware und Inventar umzusiedeln. 1936 mietet Karl Joel noch Geschäftsräume für eine Wäschemanufaktur in Nürnberg mit drei Fließbändern und 200 Nähmaschinen an.
Im Jahr 1938, als die «Arisierung» voranschreitet und Juden das Leben und Arbeiten immer schwerer gemacht wird, verlassen die Joels ihre Heimat. Den Betrieb in Berlin und auch die Näherei und Wäschemanufaktur in Nürnberg müssen sie verkaufen – unter Zwang und weit unter Wert. Vier Millionen Reichsmark soll der Betrieb damals wert gewesen sein. Der Versandhändler Josef Neckermann erhält den Zuschlag, will vom ursprünglich vereinbarten Kaufpreis von 2,3 Millionen Reichsmark letztlich aber nur die Hälfte zahlen. Das Geld überweist Neckermann auf ein Treuhandkonto beim Bankhaus Hardy & Co. in Berlin und setzt sich selbst als Bevollmächtigten ein – die Joels sehen keinen Heller davon.
Die Familie flieht zunächst in die Schweiz, wo sie in einer Einzimmer-Wohnung wohnt, dann über Frankreich und England nach Kuba. Im Hafen von Havanna kommt es zum letzten Wiedersehen mit Karl Joels Bruder Leon, Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Ansbach. Er war auf der St. Louis, jenem Schiff voller jüdischer Flüchtlinge, denen erst Kuba, dann die USA die Einreise verweigern und die schließlich nach Europa zurückkehren müssen. Das letzte Lebenszeichen von Leon Joel und seiner Frau Johanna fand Steffen Radlmaier auf einer Liste eines Sammeltransports nach Auschwitz.
Karl Joel und seine Familie aber schaffen es, in die USA einzureisen. Sie verkaufen von Hand produzierte Haarschleifen an Kaufhäuser. Karl nennt sich fortan Carl, Helmut Joel erhält den Vornamen Howard. 1943 wird er in die US-Army eingezogen und kommt nach dem Krieg sogar wieder kurz in die alte Heimat Nürnberg.
1947 heiratet Helmut Billys Mutter Rosalind, die Billy auch zu seinem 1978 erschienenen Song «Rosalinda’s Eyes» inspirieren wird. Billy Joel selbst kommt 1949 als zweites Kind der beiden zur Welt. Der Vater verlässt die Familie, als Billy noch ein Kind ist, heiratet später erneut. Den Großeltern Karl und Meta gelingt es 1959, nach einem jahrelangen Rechtsstreit von Josef Neckermann eine Entschädigung in Höhe von zwei Millionen D-Mark zu erstreiten. 1964 ziehen die beiden wieder nach Nürnberg zurück – er mit 75, sie mit 71 Jahren. Sie sind gemeinsam mit Sohn Helmut, der 2011 starb, auf dem neuen jüdischen Friedhof in Nürnberg begraben.
«Das Faszinierende an der Geschichte der Joels ist einmal ihre Beispielhaftigkeit, zum anderen ihre Vielschichtigkeit. Erschreckend sind die Parallelen zur aktuellen Flüchtlingsdebatte», sagt Radlmaier. «Tröstlich ist, dass die Joel-Story trotz allem eine Art Happy End hat: Billy Joel ist ein nach wie vor erfolgreicher Weltstar, sein Halbbruder Alexander ein international gefragter Dirigent.»
Radlmaier hat Billy Joel mehrfach getroffen, das erste Mal 1995. In der Nürnberger Meistersingerhalle spielte er ein Gedenkkonzert «50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges». Seine Gage stiftete er: für die jüdische Gemeinde und für den Nürnberger Menschenrechtspreis.
Timo Lechner (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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