Anzeige

Entdeckung: "Hellers Musik hat eine starke Handschrift"

Wissenschaftlicher Leiter der Achava Festspiele: Jascha Nemtsov | Foto: Rut Sigurdardóttir
  • Wissenschaftlicher Leiter der Achava Festspiele: Jascha Nemtsov
  • Foto: Rut Sigurdardóttir
  • hochgeladen von Online-Redaktion

Musik besitzt besondere Fähigkeiten", sagt Jascha Nemtsov. Der Pianist und Musikwissenschaftler ist Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und so etwas wie ein Schatzgräber.

Von Beatrix Heinrichs

Oder besser: Schatzheber. 2015 hatte der 57-Jährige gemeinsam mit Martin Kranz die Achava Festspiele Thüringen ins Leben gerufen, deren wissenschaftlicher Leiter er ist. Sein Spezialgebiet: Die Werke verfolgter und vergessener jüdischer Komponisten "bergen" und sie einem breiten Publikum zugänglich machen.

In diesem Jahr eröffnen die Festspiele mit dem "Requiem für den unbekannten Verfolgten" von Hans Heller. Der 1898 im thüringischen Greiz geborene deutsch-jüdische Komponist ist einer jener Künstler, deren Name und gesamtes Schaffen in Vergessenheit geraten sind. Wie aber passiert so etwas? "Da spielen viele Einflüsse eine Rolle", sagt Nemtsov. Ein weiterer Grund, warum sein Talent nicht die gebührende Würdigung erfuhr, sei seiner Persönlichkeit zuzuschreiben, so der Musikwissenschaftler. "Heller war bescheiden und konnte sich vielleicht schlechter vermarkten als andere. Außerdem wurden seine Kompositionen, die teilweise sehr umfangreich sind, nie gedruckt"

Hinzu käme der Aspekt der Verfolgung. "Hellers Geschichte ist eine des Überlebens, die mit Glück und Zufällen zu tun hatte", sagt Nemtsov. 1933 floh Heller zusammen mit seiner nicht-jüdischen Frau nach Frankreich. Während er sich in Berlin im Bereich der Neuen Musik hatte etablieren können, fiel es ihm in Frankreich schwer, Anschluss an die dortige Musikszene zu finden. Als das Land von den deutschen Truppen besetzt wurde, kam er zunächst in ein Internierungslager. Seiner Deportation nach Osten konnte er im letzten Moment durch Flucht entkommen. Den Rest des Krieges verbrachte er in einem Versteck, bis er 1946 in die USA emigrierte. Hier sei er nicht in der Lage gewesen, sich eine Existenz aufzubauen, weshalb er Mitte der 1950er-Jahre nach Berlin zurückkehrte.

In dieser Zeit sei auch sein »Requiem für den unbekannten Verfolgten« für gemischten Chor und großes Orchester entstanden, erklärt Nemtsov. "Als ich Hellers Musik zum ersten Mal hörte, war ich beeindruckt", erinnert er sich. Bleibt nun die Frage: Wo und wie entdeckt man das Werk eines eigentlich vergessenen Komponisten? Das sei noch gar nicht so lange her gewesen, beginnt Nemtsov seine Schatzheber-Geschichte. Auf Hans Heller angesprochen worden sei er bei einer Konferenz von dessen Neffen, dem Osteuropahistoriker Wolfgang Eichwede. Danach habe er die Manuskripte Hans Hellers in der Akademie der Künste in Berlin ausfindig gemacht, wo auch ein Konzertmitschnitt eines seiner Oratorien aufbewahrt wird. "Im Vorfeld war ich recht skeptisch", gibt Nemtsov offen zu. Wenn sich Familienmitglieder um das künstlerische Erbe eines Angehörigen bemühten, ließe dies noch keine Rückschlüsse auf eine hohe Qualität zu, gibt er zu bedenken. "Doch hier war ich mehr als überrascht. Hellers Oratorium, in das ich hineinhören konnte, war umwerfend. Das ist starke, emotionale Musik mit einer starken eigenen Handschrift." Schon da sei er sich sicher gewesen, dass er einen Meister entdeckt habe. "Dieser Eindruck hat sich bei der Durchsicht seiner anderen Werke bestätigt."

Zum Festspiel-Auftakt jedoch soll Hans Hellers Requiem im Vordergrund stehen. Aufgeführt wird das Stück vom MDR Sinfonieorchester und dem MDR Rundfunkchor. Umrahmt wird der Abend mit der Uraufführung der "Heller-Suite", einem Orgelstück von Silvius von Kessel und eine Hommage an den jüdischen Komponisten aus Greiz, sowie der Symphonie Nr. 1 "Jeremiah" von Leonard Bernstein.

Daran anknüpfend soll es begleitend im Rahmen der Achava Festspiele eine Gesprächsreihe unter dem Motto »Unter dem Feigenbaum« geben. Im Fokus sollen Komponisten jüdischer Herkunft stehen, deren Schaffen bisher kaum beachtet wurde. Diskutieren werden Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft. Die Moderation übernimmt Jascha Nemtsov.

22. September, 19 Uhr: Diskurs "Unter dem Feigenbaum – Ein vergessenes Genie aus Thüringen", Uni Jena
23. September, 19.30 Uhr, Konzert »Requiem für den unbekannten Verfolgten«, Dom Erfurt

Autor:

Beatrix Heinrichs

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

14 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Anzeige

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.