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NS-Zeit
Erst brannten Bücher, dann Menschen

Die NS-Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 war keine regional begrenzte, einmalige Aktion. Vielmehr handelte es sich um eine vierwöchige, akribisch vorbereitete Kampagne mit enormen Ausmaßen: Allein auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, wurden über zwanzigtausend Bände verbrannt. Es waren vor allem Werke jüdischer, linksgerichteter und pazifistischer Autoren. | Foto: epd-bild / KEYSTONE
  • Die NS-Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 war keine regional begrenzte, einmalige Aktion. Vielmehr handelte es sich um eine vierwöchige, akribisch vorbereitete Kampagne mit enormen Ausmaßen: Allein auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, wurden über zwanzigtausend Bände verbrannt. Es waren vor allem Werke jüdischer, linksgerichteter und pazifistischer Autoren.
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Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme verbrannten die Nazis in zahlreichen deutschen Städten Bücher missliebiger Autoren. Das Wort von Heinrich Heine, wonach erst Bücher und dann Menschen brennen, erwies sich als erschreckend zutreffend.

Von Susanne Rochholz (epd)

«Sie werden unsere Bücher verbrennen und uns damit meinen», ahnte Joseph Roth bereits 1932. Die Vermutung des Schriftstellers wurde ein Jahr später bittere Wahrheit: Im Land der Dichter und Denker prasselten im Frühjahr 1933 Scheiterhaufen für Bücher missliebiger Autoren und Autorinnen. Ihren Höhepunkt erreichte die von der NS-Studentenschaft organisierte «Aktion wider den undeutschen Geist» am 10. Mai.

Für Margit Ketterle, die beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Interessengemeinschaft (IG) Meinungsfreiheit leitet, ist der Gedanke an die NS-Bücherverbrennungen «bestürzend». Die Sachbuch-Expertin beim Verlag Droemer Knaur beschreibt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) ihre Gefühle, wenn sie über die NS-Bücherverbrennungen vor 90 Jahren nachdenkt: «Das Feuer ist Vernichtung in einer Art und Weise, die Auslöschung bedeutet. Ich kann nicht umhin, den Holocaust zu assoziieren», sagt Ketterle.

Sie verweist auf die Worte von Heinrich Heine aus den 1820er Jahren, die im Zusammenhang mit den NS-Bücherverbrennungen oft zitiert werden: «Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.» «Dieses Zitat ist von grausamer, erschreckender Voraussicht», unterstreicht sie.
Zugleich macht sie deutlich: «Bücher können die Welt verändern, sonst würde man sie nicht verbrennen.» Und Ketterle findet es «erschreckend, wie groß die Angst der Mächtigen ist vor Gedanken- und Meinungsfreiheit».

Demonstrativer Vernichtungsakt

Die Germanistin und Bibliothekarin Andrea Voß kümmert sich in der Universitätsbibliothek Augsburg um die «Bibliothek der verbrannten Bücher - Sammlung Georg Salzmann», eine über Jahrzehnte hinweg vom Namensgeber zusammengetragene Sammlung der von den Nazis verfemten Literatur. Seit Erfindung des Buchdrucks haben Bücherverbrennungen nach Voß' Worten «eine große symbolische Wirkung». Sie spricht von einem «Spektakel des Feuers», einem «einschüchternden, demonstrativen Vernichtungsakt», der Angst und Schrecken verbreiten solle. Viele Literaten verließen Deutschland und gingen ins Exil.

Die NS-Machthaber begannen gleich in den ersten Wochen ihrer Herrschaft, Listen zu verbrennender Bücher und ihrer Autoren zu erstellen. Es waren vor allem Werke jüdischer, linksgerichteter und pazifistischer Autoren. Joseph Roth fand sich ebenso auf der Liste wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Irmgard Keun, Karl Marx, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Anna Seghers, Alfred Kerr, Erich Maria Remarque, Egon Erwin Kisch, Franz Werfel.

Auch Bücher von Erich Kästner gingen in Flammen auf - in seinem Beisein, denn er gilt als einziger von den Nazis verunglimpfter Autor, der die Verbrennung seiner Bücher selbst beobachtet hat. Für Jan Schenck war sein Interesse für den Kinderbuchautor der Grund, sich näher mit den NS-Bücherverbrennungen zu befassen. Der Macher des Erinnerungsprojektes «Verbrannte Orte» sagte dem epd, er sei ein Buchliebhaber und «schon immer ein politischer Mensch» gewesen. Schenck hat «Verbrannte Orte» zum 80. Jahrestag der NS-Bücherverbrennungen maßgeblich angestoßen und arbeitet seitdem mit einem Netzwerk von Ehrenamtlichen an der Dokumentation von NS-Bücherverbrennungen.

Entstanden ist auf diese Weise vor allem eine Webseite (www.verbrannte-orte.de) mit einem interaktiven Online-Atlas, wo es überall Bücherverbrennungen gegeben hat und ob sie zur «Aktion wider den undeutschen Geist» oder zu anderen Verbrennungsaktionen gehörten. Dem Erinnerungsprojekt des gelernten Fotografen geht es aber auch um Sichtbarkeit der Orte von Bücherverbrennungen im Alltag: Wie sehen die Orte heute aus und welchem Zweck dienen sie? Gibt es sichtbare Zeichen der Erinnerung?

«Ich glaube, eigentlich darf man sich in so einer Erinnerung nicht auf die Jahrestage konzentrieren, sondern müsste tatsächlich eine kontinuierliche Erinnerung schaffen», sagt Schenck. Gleichwohl nutze sein Netzwerk «die Aufmerksamkeit der 90. Jahrestage», um noch stärker als bislang öffentlich in Erscheinung zu treten. Zusammen mit der Deutschen Nationalbibliothek hat «Verbrannte Orte» Material für Schulen erarbeitet und tourt im laufenden Jahr mit einer Wanderausstellung durch viele Städte.

Allein für das Jahr 1933 kann «Verbrannte Orte» 160 Verbrennungsaktionen nachweisen. 70 davon hat das Netzwerk in dem Jahrzehnt seines Bestehens in Archiven entdeckt. «Es gibt immer noch eine hohe Dunkelziffer an Taten, abgesehen von den bekannten studentischen Verbrennungen», sagt Schenck.

Autor:

Katja Schmidtke

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