Patient Kunstwerk
Im "Operations-Saal" des Restaurators
Breite Arbeitstische. Zwei, drei Rollwägelchen. Darauf saubere Pinsel, hochkant in Marmeladengläser gesteckt. Skalpelle und filigrane Metallspachtel, sorgsam auf dicke Lagen von Papiertüchern gebettet.
Von Rita Henß
Watte im Plastikbeutel. Lange, dünne Holzstäbchen, feinmaschige Baumwollhandschuhe. Weiße kleine Keramikplatten mit Farbtupfern. Und eine Fülle fest verschlossener Fläschchen, auf deren Etiketten Begriffe wie «Shell» zu lesen sind und Abkürzungen wie «Isoprop»: Eine Restaurierungswerkstatt wirkt wie eine Kombination aus Operations-Saal, Küche und Chemielabor – egal, ob es sich um jene eines Museums wie dem Frankfurter Städel handelt oder um eine privat geführte, wie jene von Elisabeth Ursprung unter dem Dach eines Mehrfamilienhauses auf der anderen Seite des Mains.
Mindestens 6000 Restauratoren gibt es in Deutschland, schätzt Patricia Brozio vom Verband der Restauratoren. Im Städel zeichnet Stephan Knobloch verantwortlich für die Werkstatt. «Leiter Kunsttechnologie und Restaurierung Gemälde und moderne Skulptur» lautet sein offizieller Titel. Sein Credo: «Ein restauriertes Werk soll nicht wie neu aussehen, sondern noch den natürlichen Alterungsprozess und die Historie erkennen lassen.» Mit anderen Worten: Retten statt Verschönern.
Guido Renis «Christus an der Geißelsäule», entstanden um das Jahr 1604, scheint auf den ersten Blick beides nicht nötig zu haben. Trotzdem liegt das mannshohe Gemälde des italienischen Malers quer auf einer Staffelei in der Restaurierungswerkstatt des Städel-Museums. Restauratorin Lilly Becker arbeitet seit rund eineinhalb Jahren an dem barocken Kunstwerk, um es für den Betrachter in seiner Qualität wieder erfahrbar zu machen. Sie weist auf die «großen Beschädigungen», entstanden möglicherweise auch durch vorherige Bearbeitungen.
Die zentrale Figur sei eigentlich in gutem Zustand, Gesicht und Körper gut erhalten, erläutert die Restauratorin. «Nur an den Haaren gab es ein paar Fehlstellen.» Als eigentliches Sorgenkind entpuppte sich der Hintergrund. So war die Geißelsäule aufgrund des vergilbten Firnisses und der stark verdunkelten Farben kaum zu erkennen. Verschiedene Untersuchungen etwa mit UV-, Infrarot- und Röntgenstrahlen sowie speziellen Mikroskopen – wie sie auch bei Augen-Operationen verwendet werden – hatten ergeben, dass der rund 500 Jahre alte «Christus» bereits mindestens drei Restaurierungen hinter sich hatte. Keiner dieser historischen Wiederbelebungsversuche war jedoch dokumentiert. Heute indes ist es üblich, jeden Schritt bei der konservatorischen und restauratorischen Bearbeitung eines Kunstwerks festzuhalten. «Das sind richtige Protokolle, zum Beispiel über verwendete Farben, Firnis- und Lösungsmittelrezepturen und andere benutzte Materialien», erklärt Lilly Becker.
Auch Elisabeth Ursprung erstellt für jede Restaurierung eine Dokumentation. Gleich zwei Gemälde hat sie gerade in Arbeit: das Porträt einer vornehm gekleideten älteren Dame und eine norwegische Fjordlandschaft, beide großformatig und aus Privatbesitz. Das erste Werk zeige die Urgroßmutter des Kunden und weise neben dunklem Firnis «ein paar Beulen, einen Kratzer und eine Schadstelle im Rahmen auf», erläutert die Kunsthistorikerin und Diplom-Restauratorin, die auch Sprecherin der Landesgruppe Hessen im Verband der Restauratoren ist.
Der runde, helle, kleine Fleck auf dem bloßen Oberarm der Porträtierten sei aber kein Leinwand-Makel, sondern das Ergebnis einer ersten Reinigungsprobe. «So schön hell waren ursprünglich die Hautpartien – und werden es am Ende wieder sein». Die Fjordlandschaft, sagt die Gemälde-Spezialistin, sei nach gut zwei Monaten intensiver Beschäftigung mit ihr nun schon «ganz nackt». Wachs- und Firnisschichten hat Elisabeth Ursprung ebenso entfernt wie Übermalungen, sie hat Risse gekittet und verbliebene Farbe stabilisiert, also am Abblättern gehindert. «Ein Drittel der Arbeit ist damit gemacht, nun kommt die Phase der Retusche.»
Auch Lilly Becker ist bei ihrer «Christus»-Restaurierung inzwischen in dieser Phase angelangt. Ihr bleiben nur noch wenige Wochen, um ihr Werk zu vollenden. Denn die große Guido-Reni-Ausstellung im Städel beginnt am 23. November.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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