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Thüringen: Hintergründe einer politischen Zäsur
Licht im Halbschatten

Dieses Buch liest sich wie ein Polit-Thriller. Geschildert werden die Ereignisse um die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen am 5. Februar 2020. Martin Debes, Chefreporter der Thüringer Allgemeinen, gut vernetzt in der Thüringer Politik, macht „den journalistischen Versuch, ein politisches Drama zu schildern.“

Von André Demut

Debes spannt den Bogen weit. Er schildert die lange CDU-Dominanz in den ersten beiden Jahrzehnten nach Wiedergründung Thüringens, die Möglichkeit für eine rot-rot-grünen Regierung im Jahr 2009 und den Gang der Thüringer CDU in die Oppositionsrolle im Jahr 2014. Die Patt-Situation im 2019 gewählten Thüringer Landtag wird präzise beschrieben. Detailliert wird dargestellt, wie die AfD-Fraktion am 5. Februar 2020 die Demokratie verhöhnte: Als sie nur zum Schein einen eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten aufstellte und ihn dann im dritten Wahlgang selbst nicht wählte, sondern einen der beiden Gegenkandidaten. Auch das Nachbeben dieses Ereignisses in der Bundespolitik und in Thüringen bis ins Frühjahr 2021 wird kenntnisreich nachgezeichnet.

Eindrücklich ist, wie dicht der Autor dran ist, an den Akteuren und Ereignissen im politischen Thüringen. Ich habe in Erfurt noch niemanden getroffen, der die Schilderungen dieses Buches in Zweifel zieht. In Zeiten von Fake News ist das ein hohes Lob für den Autoren.

Nun besteht Journalismus nicht nur aus Berichterstattung, sondern auch aus Kommentierung und politischem Urteil. Die Tatsachenschilderung in diesem Buch überzeugt mich. Kritische Rückfragen habe ich dazu, wie Debes die Ereignisse politisch beurteilt. Seine These ist, dass es den etablierten Parteien im Frühjahr 2020 nicht gelang, „eine neuartige Situation mit den alten, überkommenen Regeln zu bewältigen. Dabei stolperten sie, Schlafwandlern gleich, in eine schwere Regierungskrise.“


"Er macht den Versuch, ein politisches Drama zu schildern“

Es gibt in Deutschland – leider – seit etwa einhundert Jahren Erfahrungen damit, wie nationale Sozialisten die parlamentarische Demokratie verächtlich zu machen suchen. Was also war im Februar 2020 „eine neuartige Situation“? Für verfehlt halte ich auch den Vergleich mit „Schlafwandlern“. Wer schlafwandelt, ist für sein Handeln nicht verantwortlich. Dies für die politischen Akteure zu behaupten, die im Februar 2020 die perfide Falle der AfD nicht sehen wollten und nach dem Hineintappen nicht angemessen reagierten, halte ich für problematisch.

Diese Kritik soll die Stärken des Buches nicht überblenden. Es informiert anschaulich – und regt den Diskurs an, wie eine hellwache Auseinandersetzung mit der AfD aussehen müsste.

Debes, Martin: Demokratie unter Schock. Wie die AfD einen Ministerpräsidenten wählte, Klartext Verlag, 248 S., ISBN 978-3-8375-2431-4; 18,95 Euro

Autor:

Online-Redaktion

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