Kalenderblatt
Pfarrerbesoldung und "Hitzefrei"
In der Dauerausstellung von Schloss Wernigerode stößt der Besucher auf eine von Ernst Herter geschaffene Büste.
Von Uwe Kraus
In bemaltem Gips steht da Robert Bosse – ein Mann mit Bart, den nicht so viele Menschen auf dem Schirm haben, obwohl er als Regierungsrat und späterer Preußischer Kultusminister und Justiz-Staatssekretär so viel für die deutsche Sozial- und Rechtspolitik getan hat. Vor 190 Jahren erblickte er als Sohn eines Brennmeisters das Licht der Welt und wurde in der evangelischen Quedlinburger Marktkirche der Benediktgemeinde getauft. Wie er in seiner Autobiografie schrieb, betrachtete er die „Sozialreform als Bürger- und Christenpflicht“.
Bosses Lebenserinnerungen von 1904 klingen wie ein Loblied auf seine Geburtsstadt. „Ich habe mich immer als Quedlinburger gefühlt, und mit dankbarer Treue werde ich meiner Vaterstadt zugetan bleiben bis ins Grab“, schrieb der „Wirkliche Königlich Preußische Staatsminister“ und spätere Ehrenbürger der heutigen Unesco-Welterbestadt. Sein bekanntes „Bosse-Büchlein“ sammelt „Aussprüche und Ausführungen über und für Schule und Lehrerstand“. Die Pädagogen wiederum dankten es ihm mit einem von Gerhard Janensch geschaffenen, aber in den Wirren des II. Weltkrieges verschwundenen Denkmal in Schreiberhau im Riesengebirge vor den Türen des dortigen „Deutschen Lehrerheims“. Schließlich war es Robert Bosse, der in seiner Ära als Kultusminister „die Besoldung von Volksschullehrern und Pfarrern durch Gesetz regeln ließ“. Leider gibt es kein von Schülern initiiertes Denkmal – obwohl er an deutschen Schulen das „Hitzefrei“ einführte.
Eng verbunden war der 1832 geborene Rechtswissenschaftler den Grafen zu Stolberg. In Roßla wirkte er als Kammerdirektor bei Karl Martin zu Stolberg-Roßla, wechselte nach Uchte bei Hannover, wurde Amtmann, 1870 Konsistorialrat, 1872 Oberpräsidialrat in Hannover und Justitiar des Provinzialschulkollegiums. Der Oberpräsident Otto zu Stolberg-Wernigerode lernte ihn dabei als engen Mitarbeiter zu schätzen. Als der stellvertretender Reichskanzler würde, folgte ihm Robert Bosse, der mit der Quedlinburgerin Alwine Lindenbein sieben Kinder hatte, nach Berlin. Sein Mentor beförderte Bosses weiteren Weg.
Zum Direktor der neu geschaffenen sozialpolitischen Abteilung in das Reichsamt des Innern berufen, entwickelte Bosse sich zu einem der wichtigsten Akteure der Arbeiterpolitik des Reiches. „Er zeichnete für die nun geschaffene Alters- und Invaliditätsversicherung verantwortlich. Dabei griff er auf die Erfahrungen mit der 1873 geschaffenen Arbeiterunterstützungskasse in der Grafschaft Wernigerode zurück,“ erklärt Christian Juranek, Museumsleiter des Schlosses Wernigerode. „Anders als die Vertreter der verschiedenen Gewerkschaftsbewegungen, hatte Bosse auf diese Leistungen eine an seinen christlichen Grundwerten orientierte Sichtweise.“
Der Halberstädter Max Hirsch favorisierte mit den Hirsch-Dunckerschen Gewerkevereinen eine genossenschaftliche Gründung von Hilfskassen und deren eigener Kontrolle durch der Arbeiter. Die von Bosse vertretene Linie zu den Arbeiterversicherungsgesetzen Bismarcks geißelte Hirsch als „dirigistisch und bevormundend“. Keineswegs dürfe man nur Bismarck die Umsetzung der Sozialgesetzgebung zuschreiben, sagt Juranek. Für ihn waren Stolberg, Bosse und Theodor Lohmann, ein tiefreligiöser Lutheraner, treibende Kräfte. „Sie wollten eine Sozialpolitik aus christlicher Nächstenliebe.“ Dabei schöpften sie aus dem Glauben Kraft und Orientierung.
Robert Bosses Karriere erlebte mit dem Sturz Bismarcks nicht etwa einen Knick: 1891, zehn Jahre vor seinem Tod, stieg er zum Staatssekretär des Reichsjustizamtes auf und wurde Vorsitzender der Kommission für das neue Bürgerliche Gesetzbuch. „Somit wirkt das Werk von Robert Bosse bis heute fort“, betont Christian Juranek. Er nennt ihn eine „Triebfeder für die deutsche Sozialgesetzgebung“.
Autor:Online-Redaktion |
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