Öffentliches Gedenken
Rituale nach Katastrophen
Ob zum Volkstrauertag, nach schrecklichen Ereignissen wie einem Amoklauf oder der jüngsten Flut: Totengedenken sind eine wichtige Bewältigungsstrategie im Umgang mit derartigen Katastrophen. Doch wie sinnhaft ist das öffentliche Gedenken? Benedikt Kranemann forscht an der Universität Erfurt zu "Disaster Rituals" (Rituale nach Katastrophen). Norbert Zonker hat mit dem katholischen Liturgiewissenschaftler gesprochen.
Sollte es für öffentliche Gedenkfeiern eine feste "zivilreligiöse" Form geben?
Benedikt Kranemann: Wir verfügen in Deutschland mittlerweile über unterschiedliche Modelle gesellschaftlichen Totengedenkens. Hier ist viel in Bewegung, und das muss auch so sein, denn die Gesellschaft, die ihrer Toten gedenkt, entwickelt sich ja weiter. Es muss je nach Anlass darüber entschieden werden, welche Form sinnvoll ist und vor allem den Betroffenen wie der Gesellschaft Trost und Halt bieten kann. Letzteres muss im Vordergrund stehen, nicht die Interessen welcher Institutionen auch immer. Dabei spielen zivilreligiöse Momente eine immer größere Rolle, die vielleicht in den kommenden Jahren noch wachsen wird.
Wer könnte oder sollte solche Formen entwickeln?
Lange Zeit wurde vorausgesetzt, dass die Kirchen allein diese Kompetenz besitzen. Und sie verfügen sicherlich darüber. Aber die Trauerfeier, die der Bundespräsident für die Corona-Toten ausgerichtet hat, belegt, dass auch andere Akteure in der Gesellschaft auf diesem Feld kompetent sind. Letztlich obliegt es einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, wem man die Verantwortung gibt. Die Trauerfeiern, die die Kirchen seit Jahrzehnten vorbereiten, haben sich sehr bewährt. Kirchen werden auch wichtige Akteure bleiben, wenn es ihnen gelingt, andere gesellschaftliche und religiöse Gruppen angemessen zu beteiligen.
Wie wichtig sind zentrale Gedenkfeiern überhaupt für Kirche und Gesellschaft?
Sie sind wirklich wichtig und zentral, und dies aus unterschiedlichen Gründen. Für die Gesellschaft ist diese Form der Solidarität und des Zusammenhalts wichtig, weil schreckliche Ereignisse nicht im Alltagsgeschäft untergehen sollen. Das bringen solche Trauerrituale ins Bild. Sie thematisieren nicht nur grundlegende Werte der Gesellschaft, sondern sie bringen sie zur Erfahrung. Die Kirchen bieten Raum und Riten, in denen das gelingen kann. Zugleich müssen sie aufgrund ihrer Glaubensbotschaft in Leid und Tod Menschen nahe sein. Wenn sie sich für solche Gedenkfeiern engagieren, verwirklichen sie ihren basalen Auftrag, gerade in Situationen von Leid und Verzweiflung Menschen nicht allein zu lassen, sondern ihnen Hoffnung zuzusprechen.
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
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