Zeit statt Zeitungen
Seelsorge am Kiosk
Wenn Britta Hake den kleinen Kiosk in der Hamburger U-Bahnhaltestelle Emilienstraße öffnet, dann nicht, um Zeitungen zu verkaufen. Sie ist eine von gut zehn Ehrenamtlichen, die montags bis freitags im Zuhör-kiosk für Passanten ansprechbar sind. Ob Glücksmomente, Liebeskummer oder große Lebensnöte – alle finden hier ein offenes Ohr, anonym und kostenlos.
Von Kristina Tesch
Die Idee zu dem Projekt hatte Christoph Busch. Der Autor suchte ein Schreibbüro, als er das Schild «zu vermieten» an dem kleinen Kiosk in der U-Bahnhaltestelle entdeckte. Um nebenbei auch «Stoff zu sammeln», hängte er ein Plakat auf: «Ich höre zu». «Dann sind die Leute gekommen, weil sie ganz begeistert waren, und ich bin nicht mehr zum Schreiben gekommen, sondern habe nur noch zugehört», erzählt Busch.
Die Kunden des Zuhörkiosks seien unterschiedlich, sagt dessen Gründer. «Das geht los mit 16, wenn die Abiturfragen kommen», aber es kämen auch 90-Jährige, die ihre Lebensgeschichte erzählen. Die Begegnungen seien immer etwas Besonderes, denn er kenne die Menschen nicht. «Wir wissen nichts, es ist jedes Mal eine Überraschung.»
Schon ein halbes Jahr nach der Eröffnung des Zuhörkiosks war Busch klar, dass das Bedürfnis der Menschen zu reden groß ist. Bei ihnen im Kiosk sei das einerseits leicht, weil es anonym ist, und andererseits, «weil die Leute uns nicht wiedersehen müssen», glaubt Busch. Auch er selbst war begeistert vom Eintauchen in das Leben fremder Menschen. Doch für einen allein wurde es zu viel, weshalb es seit Mitte 2019 eine Gruppe von ehrenamtlichen Zuhörenden gibt: «Die Ohren».
Seit 2019 gehört Britta Hake dazu. Auch für sie sind die Begegnungen immer etwas Besonderes, «wichtig ist einfach nur Raum zu geben». Gespräche mit neuen Kunden beginnt sie deswegen immer mit der Frage: «Wie geht es dir?» Am häufigsten spreche sie über Geschichten aus der Kindheit. Dabei falle ihr immer wieder auf, «dass das große Auswirkungen auf die heutige Zeit hat», berichtet Hake.
In sehr schwierigen Fällen vermitteln «die Ohren» weiter. Es gebe eine Liste mit Kontakten, so Hake. Sie selbst habe einmal den Kältebus gerufen, als eine wohnungslose Frau Rat suchte. Das sei der praktische Teil, die Hilfe für Menschen in Not, so Hake. Ob es bald einen Zuhörkiosk in Schleswig-Holstein geben wird, darüber tauscht sich Christoph Busch gerade mit Monika Backof aus.
Ein Gespräch in der Bahn habe sie auf die Idee gebracht. Eine junge Frau hatte ihrem offenbar fremden Sitznachbarn aufgeregt von ihren Problemen erzählt. Als der Mann ausgestiegen war, habe sie ihr Handy genommen, jemanden angerufen und dieser Person am anderen Ende der Leitung erzählt: "Stell dir mal vor, der hat mir einfach zugehört!", erinnert sich Backof.
Dass Menschen nicht mehr so einfach jemanden finden, der nur zuhört, darin sind sich Hake und Busch einig. Häufig gehe es bei den Gesprächen im Zuhörkiosk nämlich nicht um Beratung oder Lösungsvorschläge, sondern um die Möglichkeit, die eigene Geschichte zu erzählen. Oft gehe es Menschen besser, »weil sie Worte für das finden müssen, was ihnen im Kopf rumspukt", so Busch. Zuhören sei für ihn ebenso grundlegend wie Essen und Trinken.
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.