DDR
Songschreiber an der Baggerschaufel
Es gibt nicht viele Menschen, denen im Tagebau poetische Lieder einfallen. Gerhard Gundermann war so einer. Er lebte in der sächsischen Lausitz, war Kohlebaggerfahrer und Musiker. Beides zerrte offenbar an seinen Kräften. Sein Leben endete vor 25 Jahren abrupt.
Von Katharina Rögner (epd)
Er ist einer der bekanntesten Liedermacher der DDR und spielte 1994 im Vorprogramm von Bob Dylan und Joan Baez. Mit seinen poetischen, oft bitter-ironischen Liedern ist Gerhard Gundermann (1955-1998) zu einer Symbolfigur des Ostens geworden. Zugleich spaltet der überzeugte Sozialist seit jeher die Gemüter.
Seine ambivalente Persönlichkeit ist umstritten.
«Gundi» lebte im Lausitzer Braunkohlerevier, steuerte einen riesigen Bagger, war Musiker, Idealist und Fantast. Mit nur 43 Jahren starb er in Spreetal bei Hoyerswerda - an dem Ort, wo er jahrzehntelang im Tagebau gearbeitet hatte. Am 21. Juni jährt sich sein Todestag zum 25. Mal. Spätestens mit dem einfühlsamen Film «Gundermann» von Andreas Dresen aus dem Jahr 2018 - ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis - ist seine Popularität enorm gewachsen.
Der schlaksige «große Blonde» mit Zopffrisur und der stets viel zu großen Brille war ein unbequemer, ein gespaltener Geist. Er glaubte an den Sozialismus. Anders als viele andere Genossen sagte er oft, was er dachte. Als Kritiker des Systems schloss ihn der SED-Kader schließlich aus der Partei aus. Über Jahre bespitzelte Gundermann Kollegen für die Stasi als inoffizieller Mitarbeiter «Grigori», doch auch er wurde bespitzelt. Seine Stasitätigkeit machte er später bei einem Konzert öffentlich.
Tochter Linda Gundermann sagt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über ihn: «Er war ein Mensch mit Ecken und Kanten.» Linda ist ebenfalls Musikerin - und genau wie einst ihr Vater auch nicht ausschließlich. Sie ist Lehrerin. Ihr Vater war Baggerfahrer und arbeitete in Schichten. Er wolle sein Brot nicht mit Musik verdienen, wird er häufig zitiert.
Der 1955 im thüringischen Weimar geborene Gundermann hat nie eine künstlerische Ausbildung absolviert. Nach der Scheidung seiner Eltern zog er mit seiner Mutter in die Lausitz. Die Tagebauregion um Hoyerswerda wurde seine neue Heimat. Die erste Gitarre bekam er mit 15 Jahren, das Spielen brachte er sich selbst bei. Erste musikalische Erfahrungen sammelte er im Singeklub Hoyerswerda, der später als «Brigade Feuerstein» auftrat. In beiden Gruppen sang auch seine spätere Frau Conny mit. Nach der Wiedervereinigung gründete «Gundi» die Band «Seilschaft», die seit 2010 wieder aktiv ist.
Zeitlose und menschliche Kunst
Er gab vielen Menschen im Osten eine Stimme. So etwa würdigt er in einem Song über die Grube «Brigitta» Bergarbeiterinnen und Bergarbeiter. In seiner Ballade «Hoy Woy» setzte er seinem langjährigen Lebens- und Wirkungsort Hoyerswerda ein Denkmal. Oft trat «Gundi» nach seiner Arbeit im Tagebau mit der Band auf oder hatte umgekehrt nach einem Konzert noch Schicht. Pausen kannte er dann kaum. Ein Hirnschlag riss ihn 1998 plötzlich aus dem Leben.
Für seinen Weggefährten Uwe Proksch, Geschäftsführer der Kulturfabrik Hoyerswerda, zählt vor allem der Künstler Gundermann und dessen Schöpferkraft. Seine Lieder seien «unglaublich zeitlos» und «so menschlich», sagt Proksch. Deren Kraft, Emotionen und Melancholie erreichten Menschen auch heute noch. Es gebe etwa 100 Coverbands, die seine Lieder sängen. Die Songs seien unter anderem ins Niederländische übersetzt.
In der Kulturfabrik (Kufa) hat Proksch eine Sammlung zur Erinnerung an den Gitarristen, Sänger und Songschreiber mit aufgebaut. In der «Gundermann-Schaltzentrale» sind alle Informationen digital eingestellt, die die Kufa seit dem Tod des Musikers gesammelt hat - Musik, Bilder, Filme, Texte und Theaterstücke.
Gundermann-Tochter Linda trägt mit ihrer Band «Linda und die lauten Bräute» das Erbe des berühmten Vaters weiter, will es auch einer jüngeren Generation zugänglich machen. «Wir spielen in unseren Programmen etwa 50 Prozent eigene Lieder und die andere Hälfte von Papa», sagt sie. Dessen Lieder bewegten sie und ihre Band sehr und es gebe Leute, denen gehe es genauso. «Unsere Themen sind nicht so weit entfernt von seinen, es ist dasselbe Gefühl, das darin steckt», sagt Linda Gundermann.
Als ihr Vater starb, war sie sechs Jahre alt. Sie erinnere sich an seine fantastischen Geschichten, die er ihr immer erzählt habe, sagt sie. Gelegenheit dazu habe es beim Abholen aus der Kita oder während des langen Einschlafrituals gegeben. Gundermann war außerdem Vater für zwei Kinder, die seine Frau Conny mit in die Ehe brachte.
Nicht zuletzt seit dem Film «Gundermann» ist er einem größeren Publikum bekannt, auch im Westen Deutschlands. Doch die Kritik an seiner Person bleibe - bis heute und vor allem in Hoyerswerda, sagt Proksch.
«Ein Popsternchen ist er nicht und wollte er auch nie sein», sagt seine Tochter Linda. An dem Künstler Gundermann fasziniere sie, dass er es geschafft habe, «politische Lieder zu schreiben ohne erhobenen Zeigefinger». Das sei eine hohe Kunst.
Das Staatsschauspiel Dresden lädt am Dienstag, 20. Juni, 19.30 Uhr, in die Lausitzhalle in Hoyerswerda zu einem Gundermann-Abend ein.
Autor:Katja Schmidtke |
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