Klare Definition gefordert
Suizidassistenz kann künftig Berufsbild sein
Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im vergangenen Jahr für verfassungswidrig erklärt hatte, ist eine breite Debatte in Gang gesetzt worden.
Von Doris Weilandt
Während das Urteil für schwerstkranke und sterbewillige Menschen eine Erlösung bedeuten kann, wird es von Patientenverbänden und Kirchen scharf kritisiert.
Die Befürchtung: Der assistierte Suizid könne so zu schnell als Alternative zu einer aufwendigen Sterbebegleitung in Betracht gezogen werden. Im Fokus der Diskussion stehen gleichwohl Ärzte, die in Zukunft noch häufiger mit dem Wunsch nach Suizidhilfe konfrontiert werden dürften.
Gian Domenico Borasio, der als Palliativmediziner an der Universität Lausanne lehrt und mit seinem Buch „Über das Sterben“ für große Aufmerksamkeit gesorgt hat, plädierte beim diesjährigen Thüringentag für Philosophie in Jena für eine ärztliche Suizidhilfe. „Es geht hier um schwerkranke Menschen. Dafür braucht es berufliche Erfahrungen und Kompetenz“, so der italienische Mediziner. Die Palliativbewegung habe vielen Leidenden helfen können. Aus Respekt vor der Selbstbestimmung des Menschen, zeigte sich Borasio überzeugt, gebe es aber keinen Zweifel an der Existenz des freiverantwortlichen Suizids.
Neben Medizinern wie Gian Domenico Borasio diskutierten bei der von der Universität Jena und der Neuen Thüringischen Gesellschaft für Philosophie organisierten Tagung unter der Überschrift „Mein Tod gehört mir“ auch Theologen, Psychologen und Juristen.
So verwies die Inhaberin des Lehrstuhls für Christliche Sozialethik an der Universität Erfurt, Elke Mack, zunächst darauf, dass alle monotheistischen Religionen die Selbsttötung ablehnen. Für sie steht das Sterben in einem sozialen Kontext, der die Lebenden mit einschließt.
In diesem Sinne sprach sich Reiner Anselm, Professor für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, für eine regelbasierte Vorgehensweise beim selbstbestimmten Sterben aus. „Nur über eine an Regeln orientierte Praxis kann vermieden werden, dass es zu problematischen Situationen kommt“, erklärte er und verlangte ethische Standards, die allgemeingültig sind. Dazu gehöre seiner Ansicht nach ein Beratungskonzept ebenso wie die klare Definition, was die Hilfe zum Suizid umfasst.
Eine professionelle Suizidassistenz könne ein künftiges Berufsbild sein, ist der Münchner Theologe überzeugt. Der Ablehnung wegen moralischer Verwerflichkeit hält er entgegen, dass die Bibel sich diesbezüglich zurückhält. Er begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die ethische Würde des Menschen unterstreicht.
Würde, argumentierte der Philosoph Nikolaus Knoepffler, sei immer mit dem Recht auf Selbstbestimmung verbunden. „Das eigene Gewissen bleibt der Maßstab“, so der Vorstandsvorsitzende des Ethikzentrums Jena. Sorge bereite ihm, dass viele Menschen in psychischen Notlagen sehr lange auf einen Beratungs- oder Behandlungstermin warten müssten. Corona habe diese Situation noch verschärft.
Hintergrund
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 den 2015 geschaffenen Strafrechtsparagrafen 217, das Verbot der organisierten Hilfe bei der Selbsttötung, gekippt. Die Richter urteilten, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch das Recht umfasst, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Suizidassistenz leistet, wer einem Sterbewilligen ein todbringendes Medikament überlässt, aber nicht verabreicht. Der Bundestag diskutierte danach, inwieweit der Staat diese Form der Sterbehilfe ermöglichen oder verhindern soll. Zwei Parlamentariergruppen schlagen vor, Ärzten unter bestimmten Bedingungen die Verschreibung tödlich wirkender Medikamente auch für den Suizid zu erlauben. Der Deutsche Ärztetag hatte in der Folge als Reaktion auf das Urteil das Verbot der Hilfe zur Selbsttötung aus der Berufsordnung gestrichen. (epd)
Autor:Online-Redaktion |
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