DDR-KIRCHENVERLUSTE # 47
Verlorene Dorotheenstädtische Kirche Berlin
In der DDR wurden bis 1988 rund 60 Kirchen auf staatlichen Druck gesprengt. Die wohl bekannteste von ihnen war die Paulinerkirche Leipzig – auch Universitätskirche St. Pauli genannt – im Jahr 1968. Die Serie erinnert an verlorene Sakralbauten in Mitteldeutschland und darüber hinaus.
Die Dorotheenstädtische Kirche, auch Neustädtische Kirche genannt, war eine Pfarrkirche in Berlin. Das zweite Gotteshaus an gleicher Stelle wurde 21 Jahre nach seiner Kriegsbeschädigung im Jahr 1965 gesprengt.
Gotteshaus von 1687
Die Pfarrkirche der im 17. Jahrhundert vom Großen Kurfürsten gegründeten Dorotheenstadt stand auf ihrem Kirchhof in der Neustädtischen Kirchstraße zwischen Mittelstraße und Dorotheenstraße. Zuvor gab es dort einen schlichten Vorgängerbau.
Der Sakralbau aus den Jahren 1678– 1687 entstand vermutlich nach Entwürfen von Rutger von Langerfeld. Gestaltet war es im Grundriss als griechisches Kreuz mit drei rechtwinkligen Armen, polygon geschlossenem Altarraum und vier niedrigen Anbauten in den Winkeln der Kreuzarme. Es gab keinen Glockenturm – neben der Kirche stand ein Gerüst mit den Kirchenglocken.
Die Grundsteinlegung war am 17. Juli 1678, die Kirchenweihe am 3. Dezember 1687 – mit zwei Gottesdiensten: Vormittags predigte der reformierte Hofprediger Stosch, am Nachmittag der lutherische Prediger Ranslebens. Den ersten französischsprachigen Gottesdienst gab es am 29. Januar 1688.
Gottesdienste in Französisch
Warum gab es dort Gottesdienste in französischer Sprache? In der Dorotheenstadt waren viele französische Glaubensflüchtlinge zu Hause. 1688 wurde ihnen gestattet, Gottesdienste in ihrer Muttersprache zu feiern. 1697 erhielten sie das halbe Eigentumsrecht am Gotteshaus. Mehr als 140 Jahre später, im Jahr 1841, feierte die französische Gemeinde ihren letzten Gottesdienst – im Jahr 1858 trat sie ihre Eigentumsrechte von 1697 ab.
Gotteshaus von 1863
Der von Rudolf Habelt 1861–1863 unter Beibehaltung des Grundrisses errichtete Neubau war gestaltet als kreuzförmige Backstein-Pseudobasilika im italienisierenden Stil. Das Gotteshaus war eine dreischiffige, neoromanische Hallenkirche im Rundbogenstil der Stülerschule, mit 5/8-Chor, Nebenapsiden und hohem, schlanken Kirchturm mit spitzem Helm. Kirchweihe war am 21. November 1863.
Neben den Glocken und einigen Ausstattungsstücken waren dort auch berühmte Berliner Grabmale wie die von Rutger von Langerfeld, Johann Arnold Nering, Michael Mathias Smids, Karl August Fürst von Hardenberg und Anna Dorothea Therbusch aus dem vorigen Gotteshaus untergebracht.
Für den Neubau bewilligte die Stadtverwaltung von Alt-Berlin ein Patronatsgeschenk von 18.000 Mark. Als besonders wertvoll galt das 1788/1789 von Gottfried Schadow geschaffene Grabmal des Alexander von der Mark, das im Zweiten Weltkrieg ausgelagert wurde.
Albert Geyer gestaltete 1902–1903 das Innere neu: Die bisherige Holzdecke erhielt ein Tonnengewölbe. 1909 kam die Marmorausführung des nach Johann Gottfried Schadows 1821 in Wittenberg auf dem Marktplatz enthüllten Lutherstandbildes – geschaffen von Ernst Waegener – hinzu. Die Lutherfigur mit Sockel stand rechts vor dem Triumphbogen zum Chor.
Zweiter Weltkrieg und DDR-Zeit
Am 22./23. November 1943 brannte das Innere infolge eines alliierten Luftangriffs leicht, am 21. Juni 1944 wurde es schwer beschädigt. Die Kirche diente Generationen evangelischer Christen regelmäßig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung.
Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt für Taufe und Konfirmation, für Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und für den Heimgang hunderter Bürger. Sie war Ort der Gemeinsamkeit für Andacht und Hoffnung, für Zuversicht und Freude, für Trauer und Leid. Das Gotteshaus wurde 1950 als erhaltenswert eingestuft.
Sprengung 1965
Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit dem gleichen Schicksal wünschten sich die Christen dort das Wiedererstehen ihres Gotteshauses am selben Ort. Es blieb ein frommer Wunsch: Das beschädigte Gotteshaus wurde im Jahr 1965 gesprengt.
Jüngere Vergangenheit und Gegenwart
Das Grabmal des Alexander von der Mark fand 1951 in der Alten Nationalgalerie – ohne Inschrift und Girlande – seinen Platz. Vor der Sprengung der Dorotheenstädtischen Kirche im Jahr 1965 wurden die Epitaphe der Thaerbuschs und Langerfelds ausgebaut. Danach wurde die Fläche eingeebnet und sich selbst überlassen.
Das Luther-Denkmal, vor der Kriegsbeschädigung des Gotteshauses geborgen, gelangte 1974 auf den Alten Dorotheenstädtischen Friedhof. Dort hat es seinen Platz an der Ostseite des Mausoleums der Familie Otto Stargardt westlich des Vorplatzes der 1927–1928 errichteten Trauerkapelle, die 2015 mit der Lichtkunstinstallation von James Turrell neu gestaltet wurde.
Das einstige Gelände von Kirche und Friedhof diente lange Zeit als wilder Auto-Parkplatz. Seit 2011 gibt es auf einer 60 Meter mal 70 Meter großen Grundfläche – fast deckungsgleich mit dem einstigen Kirchenbau – einen kleinen Park namens „Neustädtischer Kirchplatz“.
Seit dem Reformationsjubiläums 2017 steht nahe dem Luther-Denkmal ein Apfelbäumchen der Hochstamm-Sorte „Martin Luther“ – als eins von 95 im Reformationsjahr 2017 an verschiedenen Orten in die Erde gebrachten Bäumchen.
Koordinaten: 52° 31′ 5,3″ N, 13° 23′ 6″ O
https://de.wikipedia.org/wiki/Dorotheenst%C3%A4dtische_Kirche
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)
Autor:Holger Zürch |
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