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Blickwechsel
Verzicht muss man sich leisten können

"Sinnvoller wäre es doch, das Geld einem Hilfsprojekt zu spenden." | Foto: pixabay.com/de, Alexander Fox
  • "Sinnvoller wäre es doch, das Geld einem Hilfsprojekt zu spenden."
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Wer vier Fastenwochen nach der Methode "F.-X.-Mayr" am Bodensee bucht, zahlt dafür zwischen 4000 und 5000 Euro. Die Arztkosten werden extra berechnet und betragen pro Woche zwischen 300 und 400 Euro. Zu essen gibt es dafür nicht viel, in der Hauptsache alte, trockene Brötchen und Milch.

Von Nina Schmedding

"Durch gezieltes Fasten und bewussten Verzicht eröffnet sich Ihnen eine neue Leichtigkeit", wirbt die Organisation auf ihrer Website für die kostspielige traditionelle Methode, die der österreichische Arzt Franz Xaver Mayr Anfang des 20. Jahrhunderts zur Darmsanierung entwickelte.

"Das ist viel Geld für schlechtes Essen", findet Wolfgang Willsch, Obdachlosenseelsorger des Erzbistums Berlin. Er gehört der katholischen Gemeinschaft "Brot des Lebens" an und hat jahrelang gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern mit Obdachlosen zusammengelebt. Für ihn bedeutet fasten vor allem, "sich frei zu machen vom Blick auf sich selbst". Er will Menschen, die teure Fastenkuren unternehmen, aber nicht verurteilen. "Wenn es ihnen guttut und ihnen hilft, kann ich das schon so stehen lassen", sagt Willsch.
Dem Fasten im christlichen Sinne entspreche das aber nicht, weil es "vorbeigeht an dem Blick auf Bedürftige", so der Seelsorger. Sinnvoller wäre es doch, das Geld einem Hilfsprojekt zu spenden, schlägt er vor.


"Für die, die ganz andere Lebensprobleme haben, kann es schon zynisch sein, wenn von Schokolade- oder Handy-Verzicht die Rede ist"

Auf der einen Seite die Reichen, die sich das Fasten und den damit versprochenen Neuanfang etwas kosten lassen. Auf der anderen Seite Menschen, die an der Armutsgrenze oder auf der Straße leben und bei denen Verzicht – gezwungenermaßen – an der Tagesordnung ist und das ganze Leben bestimmt. "Fasten muss man sich leisten können", stellt der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafeln in Deutschland, Jochen Brühl, fest. "Für die, die ganz andere Lebensprobleme haben, kann es schon zynisch sein, wenn von Schokolade- oder Handy-Verzicht die Rede ist. Die fasten eigentlich das ganze Jahr, verzichten immer auf Kino, Netflix oder notgedrungen auf manche Nahrungsmittel."

Fasten zeige daher auch, wie gespalten die Gesellschaft sei, und wie "wenig wir wissen von der Lebenswirklichkeit anderer Menschen", findet Brühl, der auch evangelischer Diakon und Sozialarbeiter ist. "Es ist uns nicht bewusst, dass es Leute in unserem Land gibt, für die der Cappuccino für drei Euro viel zu teuer ist und die dann schon beim gemeinsamen Kaffeetrinken im Cafe passen müssen." Gerade seit der Corona-Zeit gebe es viele Kinder und Jugendliche, denen "es einfach nicht gut geht".

Er wünscht sich deshalb, "dass wir die Fastenzeit nutzen, um uns zu sensibilisieren. Die Fastenzeit sollte nicht nur für mich einen Nutzen haben, sondern auch für andere." Vom Verzicht müsse eine Konsequenz abgeleitet werden, so Brühl: "Dass ich lerne, mich selbst zu hinterfragen: Was brauche ich wirklich, und was heißt das im Umgang mit Menschen am Rande der Gesellschaft?"

Schon in der Bibel steht, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt (Markus 10, 25). "Jedenfalls ist ein Reden über das Spirituelle in unserer reichen Gesellschaft schwieriger als in ärmeren Kulturen", so Seelsorger Willsch. "Es geht beim Fasten eigentlich um ein Zurücknehmen des Leibes, damit dieser frei wird fürs Gebet und die spirituelle Dimension", erklärt er. "In ärmeren Kulturen wie etwa in Afrika kann man über so etwas viel eher sprechen". Auch vermisst er in den Kirchen manchmal die Ernsthaftigkeit, mit der andere Religionen zum Fasten stehen. "Religion geht aber nicht ohne Fasten", sagt er.

Also sind sozial stark benachteiligte und arme Menschen durch ihren ständigen Verzicht automatisch "Fastenprofis", mit sensibleren Antennen für Spiritualität? "Auf keinen Fall", betont Willsch. "Sie sind durch ihre Mangelerfahrung manchmal sehr auf die eigene Not fokussiert". Fasten habe aber etwas mit Wahrnehmen zu tun, so der 55-Jährige. "Man muss die Not von armen Menschen ernst nehmen, aber gleichzeitig helfen, mit dem Mangel umzugehen, wenn man ihn nicht lösen kann. Ich kenne den einen oder anderen Obdachlosen, dem das auch gelingt. Das ist sehr beeindruckend."

(kna)

Autor:

Online-Redaktion

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