Oh Tannenbaum
Vier Schillinge zur Bewachung
Der geschmückte Tannenbaum ist heute das bekannteste Symbol des Weihnachtsfests. Ein Rechnungsbuch des französischen Orts Sélestat von 1521 gilt als das weltweit älteste Dokument, das den Festbaum beschreibt.
Von Christine Süß-Demuth
Tannenbäume schmücken bereits seit Jahrhunderten Kirchen und Wohnungen an Weihnachten. Das wird im Elsass in diesem Jahr ganz besonders gefeiert. Denn das kleine französische Örtchen Sélestat sieht sich als Wiege der Weihnachtsbaum-Tradition. Dort wurde er zwar nicht «erfunden», aber vor 500 Jahren erstmals schriftlich dokumentiert.
«Item IIII Schillings den förstern die meyen an Sanct Thomas Tag zu hieten», notierte der Buchhalter am 21. Dezember 1521 sorgfältig im Rechnungsbuch des elsässischen Schlettstadts, dem heutigen Sélestat. Vier Schillinge sollten dem Förster bezahlt werden, der die Tannen (altdeutsch Meyen) des Gemeindewalds hütete. Beschrieben wird dort weiter, dass die Einwohner der Stadt kostenlos eine Tanne fällen können, um sie zu schmücken. Der Eintrag gilt als weltweit ältestes Dokument, in dem der Festbaum erwähnt wird.
Das vergilbte Blatt ist im Stadtarchiv unter der Nummer CC53 inventarisiert und nicht öffentlich zugänglich. Aus Anlass der 500-Jahr-Feierlichkeiten wird es zurzeit aber in der Humanistischen Bibliothek von Sélestat ausgestellt, in einer Vitrine, die einem Tannenbaum nachempfunden ist.
Ein weiterer urkundlicher Beleg aus dem Jahre 1539 stammt ebenfalls aus dem Elsass und erwähnt einen Weihnachtsbaum, der im Straßburger Münster aufgestellt war. Das sei wenig überraschend, erklärt der Brauchtumsforscher und katholische Theologe Manfred Becker-Huberti. Denn ursprünglich komme der Brauch, einen immergrünen Baum aufzustellen, aus der Kirche.
Im späten Mittelalter sei vor dem eigentlichen Krippenspiel das Paradiesspiel aufgeführt worden, das verdeutlichte, wie durch Adam und Eva die Sünde in die Welt gekommen sei. Der 24. Dezember sei auch der Gedenktag für das erste biblische Menschenpaar. Zu diesem Spiel gehörte ein «Paradiesbaum». Dazu wurden immergrüne Bäume verwendet wie Stechpalmen oder eben Tannen. Diese wurden mit roten Äpfelchen geschmückt.
Das anschließende Krippenspiel verdeutlichte die Erlösung der Menschen. Durch die Geburt ihres Sohnes habe Maria als «neue Eva» die Erbsünde überwunden, erläutert Becker-Huberti. Das sei auch eine Erklärung dafür, dass einst auf Gemälden Maria und das Jesuskind oft mit einem Apfel dargestellt wurden, wie etwa von Lucas Cranach d.Ä.
im Jahr 1520/1530.
Den kirchlichen Brauch hätten bald die Zünfte und Innungen
übernommen: Ein Baum wurde mit Äpfeln, Oblaten und Spielzeug geschmückt, die Kinder durften ihn plündern. Keinerlei historische Belege gebe es jedoch für Erzählungen, wonach bereits im Jahr 1419 Mitglieder der Bäckerschaft aus Freiburg im Breisgau einen Weihnachtsbaum mit Lebkuchen, Äpfeln, Früchten und Nüssen behängt hätten.
Ende des 16. Jahrhunderts war es überall im Elsass Brauch, zu Weihnachten im Haus einen Baum zu schmücken. Dieser hing ursprünglich an einem Balken von der Decke. Das war nicht nur platzsparend, sondern sollte auch verhindern, dass Mäuse daran knabberten.
Dekoriert war er mit roten Äpfeln und weißen ungeweihten Hostien, die an die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu erinnern sollten.
Danach verbreitete sich die Tradition des Weihnachtsbaums schnell an Königs- und Adelshöfen in ganz Europa. Der erste kerzengeschmückte Tannenbaum ist überliefert aus dem Jahr 1611 im schlesischen Schloss der Herzogin Dorothea Sybille. Eingang in die Literatur erhielt er dann 1774 durch Johann Wolfgang von Goethe. In seinem Roman «Die Leiden des jungen Werther» beschreibt der Dichter den «aufgeputzten Baum mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln».
Doch es habe lange gedauert, bis der ursprünglich überwiegend protestantische Brauch auch bei Katholiken heimisch geworden sei, erzählt Becker-Huberti. Viele Katholiken beharrten weiter auf der Krippe als weihnachtlichem Symbol. Die katholische Kirche habe vielerorts sogar zunächst gegen die Aufstellung von Weihnachtsbäumen protestiert.
Um 1900 habe der Christbaum dann auch konfessionsübergreifend in den Wohnzimmern geleuchtet, berichtet Becker-Huberti. Es sollte aber noch bis 1982 dauern, bis ein Christbaum auf dem Petersplatz in Rom aufgestellt wurde. Papst Johannes Paul II. führte den Brauch ein.
In Sélestat wird die erste Erwähnung des Weihnachtsbaums vor 500 Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen und einem kleinen Weihnachtsmarkt vor der Humanistischen Bibliothek gefeiert. Zum Jubiläum ist eine Sonderbriefmarke der französischen Post erschienen.
Und vor der Kirche Sainte-Foy in Sélestat steht in diesen Wochen eine hohe Tanne, die in Erinnerung an alte Zeiten geschmückt ist: mit rot glänzenden Weihnachtskugeln in Apfelform und weißen Papier-Oblaten mit der goldenen Aufschrift 1521.
(epd)
Autor:Beatrix Heinrichs |
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