Agnostiker, aber im Herzen ein Protestant
Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius hat in Büchern über Fußballleidenschaft geschrieben. Im Interview erzählt er, wo sich Fußball und Religion berühren – und wo nicht.
Herr Delius, Ihr Vorname wird landläufig »F.C.« abgekürzt. Wann ist Ihnen zum ersten Mal bewusst geworden, dass dies wie »Fußballclub« klingt?
Delius: Schon als Kind, aber dass man damit offensiv kokettieren kann, dämmerte mir erst später gegen Ende der Schulzeit, als ich erste Gedichte veröffentlichte, also etwas Eigenes in die Welt stellen konnte – und dazu einen originellen Vornamen.
In der Erzählung »Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde« schildern Sie Ihre Kindheit als Pfarrerssohn. Die erscheint doch zum großen Teil recht trostlos und auch sehr angstbesetzt …
Delius: Ich habe Anfang der Neunzigerjahre in dem Buch versucht, die Gefühle, die ich als Kind hatte, zu rekonstruieren und zu beschreiben. Wir alle tragen ganz viele Gefühle in uns, für die wir früher keine Worte hatten und oft heute auch nicht. Die Kindheit war vergleichsweise idyllisch und keineswegs trostlos, aber von Angst vor dem Vater bestimmt. »Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde« hätte ich nicht schreiben können ohne das ganz starke Gefühl der Befreiung, wie es in der letzten Szene des Buches dargestellt ist. Ich habe versucht, das alles aus der Situation des verschüchterten Elfjährigen von damals so genau wie möglich zu beschreiben. Das ergibt natürlich kein vollständiges Bild meiner Erziehung oder meiner Vaterbeziehung. Dazu brauchte es noch zwei, drei andere Bücher …
In Ihrer neusten Erzählung »Die Zukunft der Schönheit« kommen Sie am Ende zu einer versöhnlicheren Sicht auf Ihren Vater.
Delius: Das stimmt, und mein Vater ist von Leuten aus seinen beiden hessischen Gemeinden, auch von meinen Altersgenossen, ganz anders beschrieben worden, nämlich als jemand, der sehr zugewandt war, schon damals ein gutes Verhältnis zu Jugendlichen hatte, der schon sehr früh ernsthafte Sexualaufklärung leistete, was eigentlich um 1960 nicht üblich war. Das habe ich als Kind damals natürlich alles nicht wahrgenommen. Im neuen Buch wird das Bild sehr differenziert, mit einigen überraschenden Aspekten, die ich hier nicht verraten will.
Heute hat man den Eindruck, dass Fußball für viele Menschen fast ein Religionsersatz ist. Stimmt das?
Delius: Wenn wir als Kinder Stars anschauen oder uns ihnen nähern, dann ist das eine ganz verständliche, infantile Neigung, denn man will sich mit dem Star identifizieren, also mit Größe, Ruhm, Erfolg. Wenn man diese Neigung als Erwachsener immer noch hat, dann kann es mit dem Erwachsensein nicht so weit her sein. Es sind eher die gesellschaftlichen Verlierer, die sich an die fernen Sieger klammern. Religion verspricht Erlösung, der Fußball Siege, an denen der Fan nicht faktisch, sondern nur emotional teilhat. Religion ist eine private, ja intime Sache, der Fußball ein öffentliches Schlacht- und Geschäftsfeld, wo Milliardäre fußballspielende Legionäre zu Millionären machen, und wir nur Zuschauer sind. Also mit dem Wort Religionsersatz wäre ich da etwas vorsichtiger.
Viele Äußerungen des Fußballfanlebens haben einen religiösen Touch, zum Beispiel wenn gesungen wird »You’ll never walk alone« oder wenn Plakate gezeigt werden, wo ein riesiger Jesuskopf über die ganze Tribüne gezogen wird …
Delius: … weil es so eine Art religiöses Verhältnis ist. Ich begebe mich als Fan in eine Gemeinde hinein. Es ist ja eine Form von Anbetung, wenn ich dahin pilgere. Es wird gesungen, um Tore gebetet. Es sind ja regelrechte Wallfahrten, wenn man ins Stadion geht, so gehen andere auf den Petersplatz – das ist schon sehr verwandt.
Seit der WM in Deutschland 2006 engagiert sich die evangelische Kirche immer mit einem eigenen Programm bei Fußballgroßereignissen. Empfinden Sie das als Anbiederung, wie sich die Kirche gerade zu Weltmeisterschaftszeiten an die Fußballer und an die Fußballfans heranschmeißt?
Delius: Ach, es schmeißen sich ja alle ran, besonders die Medien, selbst das Feuilleton, warum soll die Kirche es nicht auch versuchen? Es nützt nur herzlich wenig, die Schnittmengen sind minimal.
Wenn man Ihrer Erzählung »Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde« glauben darf, ist Ihnen Kirche und Religion doch damals sehr verleidet worden.
Delius: Ich habe durch Vater, Mutter, Großvater, Onkels und Tanten einfach eine Überdosis abbekommen an Religion, aber die hat mich dazu gebracht, dass mein Verstand, hoffe ich jedenfalls, kritisch hellwach wurde und die Liebe zur Sprache geweckt wurde. Natürlich denke ich auch über religiöse Fragen nach. Aber ich kann das nicht, was erwartet wird: glauben. Noch weniger, seit ich mich etwas mit der frühen Kirchengeschichte beschäftigt habe. Welche Lehre wann und unter welchen unchristlichen Umständen von Menschen als göttlicher Glaube durchgesetzt wurde, all das ist schier unglaublich. Nichts gegen christliche Werte, aber viel gegen Paulus, noch mehr gegen Augustinus und
die Folgen.
Würden Sie sich als Atheisten bezeichnen oder als Agnostiker?
Delius: Wenn schon, dann als heiteren Agnostiker. Atheist hieße ja, ich wüsste genau, dass es keinen Gott gibt. Das ist ja auch schon wieder so eine dogmatische Haltung. Also ich halte es da eher mit dem katholischen Historiker und Philosophen Kurt Flasch, ein großer Kenner der ganzen mittelalterlichen Theologie, und der größte Augustinspezialist. Der hat 2013 ein Buch mit dem Titel geschrieben. »Warum ich kein Christ bin«. Er begründet dies nicht mit üblen Erfahrungen und den Sünden der Kirche, sondern mit den zahlreichen Widersprüchen, die sich ihm in der biblischen Botschaft und in der kirchlichen Dogmatik auftun, und kommt zu dem Schluss, dass er da nicht mehr mitmachen könne. Aber er ist so vom Katholizismus geprägt, dass er sich als Kulturkatholik bezeichnet. In diesem Sinne komme ich mir vor wie ein Kulturprotestant, denn ich kann und will das Protestantische in mir einfach nicht leugnen.
Auch wenn Ihre Erfahrungen mit dem christlichen Glauben sehr ambivalent sind: sehnen Sie sich manchmal danach, einen Glauben zu haben?
Delius: Nein. Aber ich verstehe, dass der Glaube für viele Menschen eine Erleichterung ist. Man hat dann ein Weltbild, in dem bestimmte Dinge gelöst sind, und manche würden es ohne das gar nicht aushalten. Meine früh verwitwete Mutter hätte das Leben ohne ihren Glauben nicht ausgehalten. Das respektiere ich. Aber ich muss fröhlich mit den Widersprüchen leben. Das ist ein bisschen anstrengender, aber es geht nicht anders. Ich kann mich ja nicht verbiegen. Und in meinem Tischgespräch mit Luther, »Warum Luther die Reformation versemmelt hat«, habe ich ja nicht ohne Grund vom »Paradies des Unglaubens« gesprochen.
Das Gespräch führten Philipp Gessler und Reinhard Mawick. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von »Zeitzeichen«.
Autor:Online-Redaktion |
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