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Predigttext
Das rote Seil

Johanna  Fabel, Studien-leiterin am Theologisch- Pädagogischen
Institut in Sachsen | Foto: privat
  • Johanna Fabel, Studien-leiterin am Theologisch- Pädagogischen
    Institut in Sachsen
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Beatrix Heinrichs

"Ich weiß, dass der Herr euch das Land gegeben hat; … alle Bewohner des Landes sind vor euch feige geworden."

Josua 2, Vers 9

Es ist eine der eigenwilligsten Geschichten des Josuabuches: Die von Josua ausgesandten Kundschafter machen in Jericho Station in Rahabs Haus, sie war vermutlich eine Prostituierte. Sie werden verfolgt und entkommen erfolgreich mit Rahabs schlauer Hilfe. Diese bittet unter Anerkennung der Größe des Gottes der Kundschafter um Verschonung, wenn Josuas Truppen die Stadt später einnehmen werden. Ein rotes Seil wird für Kundschafter und für Rahab zugleich Rettungs- und Erkennungsseil.

An der Oberfläche der Geschichte begegnet das rote Seil als ein Zeichen des mutigen Bekenntnisses der Rahab. Schaut man tiefer, stellt sich die Frage: Hatte Rahab überhaupt eine echte Wahl, wenn sie ihr bloßes Überleben und das ihrer Familie längerfristig sichern wollte? Ist sie eine Heldin oder eine Verräterin? Die Menschen in Jericho werden es anders bewertet haben als die Israeliten an der Jordanfurt.

Dieses rote Seil hat höchst ambivalente Symbolkraft. Es ist Zeichen der Hoffnung und der Beziehung, aber auch der Abhängigkeit und der Gewalt. Am Fenster dieses Hauses steht es auch für die Verflechtung von Sexualität und Macht. Und innerhalb der biblischen Geschichten erinnert es an das Blut der Lämmer, das vor dem Auszug aus Ägypten an die Türpfosten gestrichen wurde, um die Häuser der Israeliten vor dem Todesengel zu bewahren, der die Erstgeborenen der Ägypter niederstreckte. Ebenso mehrdeutig: Blut-spur und Rettungsweg, Jubel mit den Befreiten, keine Träne für die Opfer. Mehr noch: Hinter der schillernden Bedeutung des roten Seils leuchtet ein ebenso schillerndes Gottesbild auf, das erzählt von wunderbarer Bewahrung und grausamer Gewalt.

Diese Geschichte und dieses eigenwillige rote Seil stellen mir mehr Fragen als sie beantworten. Sie fragen nach dem Zusammenhang von Gewalt und Religion, bis heute. Sie lassen mich nachdenken über meine Hoffnungen und Zwänge. Dieses rote Seil hält meine Sorge wach um das Maß und die Mittel, mit denen ich Gerechtigkeit und Zukunft einfordern kann. Auf wessen Kosten geht meine Freiheit, mein Recht? Welche namenlosen Opfer stehen hinter meinem Wohlstand und meiner Sicherheit? Schmerzhaft bohrt die Frage nach dem richtigen Weg, und doch leuchtet etwas durch von Gottes Hoffnung für unsere Welt.

Johanna Fabel

Autor:

Online-Redaktion

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