Kirchen
Der vergessene Reformator
Die Union Protestantischer Kirchen von Elsass und Lothringen erinnert dieses Jahr an den Reformator Martin Bucer. Er flüchtete 1523 nach Straßburg und brachte dort die Kirchenreform voran. Bucer steht noch immer im Schatten anderer Reformatoren.
Von Alexander Lang (epd)
Er ist der große Unbekannte der europäischen Reformationsgeschichte: Martin Bucer (1491-1551). Die evangelische Kirche im Elsass und in Lothringen würdigt den Reformator mit einem Festjahr: Nach seiner Flucht in die frühere Reichsstadt Straßburg im Jahr 1523 schuf er dort eine evangelische Kirchenordnung und führte die Reformation weiter. Die elsässische Metropole an der Ill gilt als ein kulturelles Zentrum und ein Motor der frühen Reformation in Europa.
In Deutschland hingegen fristet der in Sélestat (Schlettstadt) im Elsass geborene Theologe, der auch als «Erfinder» der Reformation gilt, noch immer ein Schattendasein. Ein Trauerspiel sei es, dass man stets aufs Neue erklären müsse, wie wichtig dieser für die evangelische Kirchengeschichte bis heute sei, findet der Heidelberger Kirchenhistoriker Johannes Ehmann. Bucer habe sich gerade in seiner Zeit in Straßburg als Vermittler zwischen lutherischer und reformierter Theologie für die protestantische Einheit hervorgetan, vor allem im Streit um die Bedeutung des Abendmahls.
Doch andere Reformatoren, allen voran Martin Luther (1483-1546) hätten Bucer im Laufe der Zeit aus dem Blick gedrängt, klagt Theologieprofessor Ehmann. Schon sehr früh sei die in religiösen Fragen tolerante Stadt Straßburg besonders durch den Einfluss des einstigen Dominikanermönches zur Reformation übergegangen. Die Zunft der Gärtner wählte Bucer 1524 zum Pfarrer - er blieb fast 25 Jahre.
Dann musste er erneut fliehen, ins englische Exil nach Cambridge, wo er auch starb.
Wegen seiner Glaubensüberzeugungen verfolgt, führte Bucer ein rastloses Leben. Schon früh zog er als Priester in das westpfälzische Landstuhl, heiratete eine ehemalige Nonne, wurde daraufhin vom Speyerer Bischof exkommuniziert. Zuflucht fand er 1522 auf der Ebernburg an der Nahe und im elsässischen Weißenburg, bevor er nach Straßburg kam. Im Jahr 1539 handelte Bucer im nordhessischen Ziegenhain einen Kompromiss im Streit darüber aus, wann Protestanten getauft werden sollen: die Kindertaufe blieb, Heranwachsende sollten aber zusätzlich ein Taufbekenntnis ablegen - die Konfirmation war geboren.
Als Reformator in Straßburg habe Bucer ein evangelisches Gemeindeleben aufgebaut, das durch Bibelarbeit und diakonische Hilfe für bedürftige Menschen geprägt gewesen sei, sagt der ehemalige elsässische Kirchenpräsident Marc Lienhard. Dass Bucer einem breiteren Publikum, besonders in Deutschland, kaum bekannt sei, führt der Straßburger Kirchenhistoriker Lienhard auch auf dessen wenig lesefreundlichen Schreibstil zurück. «Bucer war sehr gut im Reden, aber weniger gut im Schreiben.»
Nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) habe die evangelische Welt den Vermittlungstheologen Bucer, der mit Reformatoren in ganz Europa im Briefwechsel stand, «nicht mehr gebraucht», sagt Kirchenhistoriker Ehmann. Straßburg mit seinem evangelischen Münster wurde schließlich um 1580 eine Hochburg der Lutheraner - bis zur Rekatholisierung 1681.
Erst spät, nach 1945, habe die Bucer-Forschung zaghaft eingesetzt, berichten Ehmann und Lienhard. Von dem «deutschen Reformator» Bucer aus Straßburg hätten viele Franzosen und Deutsche nach leidvollen Kriegserfahrungen lieber die Finger gelassen. Auch heute würden dessen Schriften kaum gelesen, sagt Ehmann. Doch die Kirchen am Oberrhein - im Elsass, der Pfalz, Baden und in der Nordschweiz - sollten den aus dem Blick geratenen Grenzgänger in Ehren halten: als «oberdeutschen Reformator».
Wachsende Sprachbarrieren und auch eine politische Abkühlung zwischen Frankreich und Deutschland erschwerten ein gemeinsames Erinnern an Bucer, bemerkt Alt-Kirchenpräsident Lienhard. Der Mitverfasser der «Leuenberger Konkordie», die vor 50 Jahren eine Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen, unierten und reformierten Kirchen Europas gründete, sagt: «Die Kirchen müssen ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit wachhalten.»
Autor:Katja Schmidtke |
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