Porträt
Die charmante Mystikerin
Katharina von Siena (1347–1380): Eine Färberstochter zeigt Päpsten und Fürsten, was Courage ist.
Von Christian Feldmann
Einen Dickschädel hatte sie schon als kleines Mädchen: Weil sie die Geschichten von den ägyptischen Wüstenvätern und ihrem harten Büßerleben so beeindruckten, klemmte sie sich eines Tages ein Brot unter den Arm und marschierte durch das Stadttor von Siena hinaus, um die Wüste zu suchen.
Damals war Katharina vielleicht sechs oder acht Jahre alt, und ihre Mutter, Monna Lapa, hatte ihre liebe Not mit dem ungebärdigen Kind und seinen Träumen. Katharina führte einen zähen Kleinkrieg gegen Monna Lapas Pläne, die Tochter gut zu verheiraten. Dabei war sie auffallend hübsch und pflegte ihre Reize. Aber als ihre Lieblingsschwester im Wochenbett starb, war das ein solcher Schlag für sie, dass sie sich die blonden Locken abschnitt, mit extremen Bußübungen begann – und sich völlig in ihrer Kammer vergrub.
Im Innern freilich machte sie einen stürmischen Lernprozess durch, den sie später im Bild einer Christusvision schilderte: Dem unter Depressionen und verwirrenden erotischen Phantasien leidenden Mädchen erscheint der Gekreuzigte, blutüberströmt und in funkelndem Licht.
»Mein Herr, wo warst du, als mein ganzes Inneres voll dieser Schrecknisse war?« fragt ihn Katharina vorwurfsvoll. »Ich war in deinem Herzen!« antwortet Christus. Und dann befiehlt er der Widerstrebenden, aus ihrem Kämmerchen heraus wieder unter die Menschen zu gehen. Da gehörte die Sechzehnjährige bereits zum Laienorden des heiligen Dominikus, einer Gemeinschaft wohltätiger älterer Witwen. Es war ziemlich kompliziert für das trotz Kahlkopf und Kopftuch immer noch attraktive Mädchen gewesen, Zugang zu dem biederen Kränzchen zu bekommen.
Doch Erstaunliches geschah: Die gesetzten Damen erkannten das junge Mädchen zunehmend als Führungsfigur an. Gutsituierte Frauen, Ratsherren, Mönche, Künstler, Bankiers waren allesamt fasziniert von diesem zielbewussten, klugen Geschöpf.
Die Legenden lassen einen bezaubernden Charme ahnen. »In ihrer Gegenwart«, verrät ihr erster Biograph, »fühlte man einen mächtigen Antrieb zum Guten und eine so unbändige Freude an Gott, dass jede Spur von Traurigkeit aus dem Herzen wich.«
Die Stadtrepublik Siena wurde im 14. Jahrhundert von Familienfehden und Bürgerkriegen erschüttert. Alle Augenblicke brach ein neuer Zwist los, die Waffen saßen locker, und es gab immer wieder irgendeine unverzeihliche Beleidigung, die gerächt werden musste.
In diese explosive Welt der Hitzköpfe, Gewalttäter und von Gott Besessenen warf sich Katharina hinein. Und merkwürdig: Dorfbürgermeister und Stadtparlamente, Burgherren und Diplomaten wurden auf die junge Frau mit dem unerklärlichen Charisma aufmerksam, holten sie als Schiedsrichterin und Friedensstifterin zu Hilfe.
Noch erstaunlicher als ihre umwerfende Wirkung auf Menschen sind die ungeheuer selbstbewussten, mit flammenden Anklagen und zarten poetischen Bildern angefüllten Briefe, die sie an Könige und Schuster, Päpste und Schneider, Maler, Adelige, Klosterschwestern und Prostituierte schrieb.
Immer wieder leidenschaftliche Schreiben nach Avignon: Der dort residierende Papst soll sich aus seinen Abhängigkeiten lösen, nach Rom zurückkehren und die in irdische Händel und Machtkämpfe versunkene Kirche erneuern.
Seit einem Dreivierteljahrhundert leben die Päpste dort in Avignon in der Provence im Exil, meist lautere, gutwillige Männer, die sich allerdings den diplomatischen Interessen Frankreichs unterwerfen und einen verrotteten Hofstaat gewähren lassen. Katharina weint um die entstellte, von Habgier, Unbarmherzigkeit und Gewalttaten befleckte Kirche. »Ihr Herz, die glühende Liebe, ist ihr verlorengegangen«, schreibt sie.
Papst Gregor XI. soll nach Rom zu seiner »ausgehungerten Herde« zurückkehren und das Zeichen einer erneuerten, armen Kirche setzen. Das Verblüffendste dabei: Katharinas ebenso weitschweifige wie unhöfliche Briefe werden an der päpstlichen Kurie und an den Fürstenhöfen gründlich gelesen – und mit Erwiderungen und Einladungen beantwortet. Mitten im Krieg zwischen Florenz und dem Papst, in dem sie erfolglos zu vermitteln suchte, empfing Gregor XI. Katharina zu einer Audienz. Wie sie denn nach wenigen Tagen schon die Zustände an seinem Hof zu beurteilen vermöge, fragte sie der Papst mit leisem Spott.
Da richtete sich die junge Frau hoch auf und erwiderte: »Da es um die Ehre des allmächtigen Gottes geht, bekenne ich furchtlos, dass die Sünden des päpstlichen Hofes bis nach Siena stinken!«
Nach jahrelangem Lavieren setzte sich der Papst gegen den Widerstand seiner Neffen und Cousins, der Kurie und des politischen Frankreich durch und kehrte nach Rom zurück. Sein Nachfolger Urban VI. bemühte sich zwar ernsthaft um Reformen, entwickelte sich aber zu einem reizbaren, gewalttätigen Despoten – und bekam die Quittung in Gestalt eines Gegenpapstes, der wieder in Avignon Wohnung nahm.
Katharina mahnte Fürsten und Bischöfe, dem rechtmäßig gewählten Papst treu zu bleiben, suchte aber auch den immer schlimmer wütenden Urban zu besänftigen. Am Ende stand die Einsicht ihres politischen Scheiterns.
Zeitlos gültig ist jedoch ihre leidenschaftliche, sehnsüchtige Mystik geblieben. »Feuer, das immer brennt« nennt sie ihren Gott, der ihr als pulsierendes Kraftzentrum erscheint und nicht als müde zuwartender Weltenrichter, »Feuer und Abgrund der Liebe«, »armes, ausgeblutetes Lamm«.
Gott nennt sie einen »Narren aus Liebe«, der seinem Geschöpf nachläuft, »trunken vor Sorge«. Jesus, die ewige Wahrheit, ist ihr Freund, ganz unsentimental und selbstverständlich. Sie erlebt Christus als elementare Gewalt, die alle Selbstverständlichkeiten über den Haufen wirft. Weil Gott »unser Liebhaber« ist, müssen auch wir ihm »wie verliebt entgegenlaufen« und vor allem die Menschen lieben: »Wer Mich wirklich liebt, ist ein Segen für seine Mitmenschen.« Ein solches Übermaß an Liebe wünscht sie sich von Gott, dass die Hölle darunter zusammenbrechen soll!
Mehr und mehr hat die scheinbar so entrückte Mystikerin, die in der »Welt« anfangs das Haupthindernis für ein kontrolliertes, vernünftiges Leben sah, diese Welt lieben gelernt. Einer befreundeten Äbtissin aus Siena schrieb sie: »Wenn Ihr mir sagt, ich möchte mich gar nicht mehr um irdische Dinge kümmern, so antworte ich: Irdisch sind die Dinge in dem Maße, wie wir sie dazu machen.«
Alles entspringe der Güte Gottes. »Ich will also nicht, dass Ihr unter dem Vorwand, es handle sich um irdische Dinge, Mühen aus dem Wege geht, sondern Ihr sollt das Auge des Herzens auf Gott gerichtet halten und Euch um die Seelen mühen.«
Caterinas langsames Sterben in Rom dauerte Monate. Obwohl sie an den Folgen einer Gehirnblutung litt, pilgerte sie jeden Morgen zwei Kilometer weit zum Petrusgrab, um dort bis zum Abend für die in Agonie liegende Kirche zu beten. Als ihr Leben verlosch, am 29. April 1380, war sie erst 33 Jahre alt.
Autor:Online-Redaktion |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.