Wort zur Woche
Die gesungene Predigt bleibt im Ohr
Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.
Psalm 98, Vers 1
Der Landesbischof singt. Es war Quasimodogeniti, und in Stendal wurde mit einem Festgottesdienst das 600-jährige Bestehen des Doms St. Nikolaus gefeiert. Nun ist man von Friedrich Kramer gewohnt, dass er gern singt und seine Gitarre eigentlich immer mit sich im Handgepäck trägt.
Von Gordon Sethge
Doch die kam an diesem Sonntag ausnahmsweise gar nicht zum Einsatz. Stattdessen sang der Bischof – a capella – von der Kanzel. Genau genommen sang er den 8. Vers aus Psalm 26, „Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses", nach einer Vertonung von Manfred Schlenker. „Kann man machen“, dachte ich.
„Mutig“, dachten andere. Jedenfalls sorgte die „gesungene Predigt“ für einigen Gesprächsstoff im Anschluss an den Gottesdienst. Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder. Gesang kann überraschen, Gesang kann irritieren, Gesang kann Altes wieder neu ins Bewusste heben oder ein Tor zum Unbewussten, zum Fremden und zum Heiligen werden. Für mich sind es oft die Psalmen, die gesprochen oder gesungen eine Verbindung zwischen Menschen stiften und gleichzeitig etwas Transzendentes öffnen.
Im 98. Psalm werden die Beter zu einem „neuen Lied“ aufgefordert. Ich lese darin weniger die Aufforderung zu immer mehr oder neuerem Liedgut. Für mich ist es eine Aufforderung, mich selbst immer wieder neu auf die Musik, den Gesang, die Botschaft, die Stimmung, das Gemeinschaftsstiftende und das Transzendente einzulassen.
Manchmal erwischt es mich einfach, eine Psalmodie oder die Nummer 28 aus dem Liederbuch "Hohes und Tiefes", und dann ist da etwas, das in mir wirkt, mich bewegt, Wunder tut und etwas zum Schwingen bringt.
Ob man nun einen singenden Bischof auf der Kanzel inspirierend oder irritierend findet, ist dabei erst einmal nebensächlich. Jedenfalls habe ich nun schon fast zwei Wochen lang diesen Ton von Manfred Schlenker im Ohr: „Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses.“ Und ich will dir singen und hören. Immer wieder neu.
Der Autor ist Pfarrer in Osterburg.
Autor:Online-Redaktion |
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