Wort zur Woche
Die Wirbelsäule des Glaubens
Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.
Psalm 130, Vers 4
Schaue ich nach unten, sehe ich meinen Bauch, meine Hände, Beine und Füße. Wer neben mir steht oder vor mir, was um mich herum geschieht, was mich umgibt, sehe ich nicht.
Von Sabine Kramer
Der Blick nach unten ist der Blick auf mich selbst. Martin Luther verwendet diesen Blick als Bild für den homo curvatus, den in sich verkrümmten Menschen. Der Mensch, der allein sich im Blick hat, auf sich bezogen ist, sich selbst sucht. Dieser Mensch verletzt. Denn wenn ich nicht aufblicke, sehe ich nicht, was einem anderen Menschen oder der Gesellschaft nützt, hilft, was er oder sie braucht.
Verletzend verhalten hat sich der Mensch, der den 130. Psalm betet. Was ist genau vorgefallen? Wir erfahren es nicht. Der Betende weiß, was er getan hat. Es plagt ihn. Was hat er da nur angerichtet. Wie nun weiterleben mit dieser Last? Aus tiefer Not ruft er zu Gott. Was erwartet er von Gott, hagelt es jetzt Vorwürfe, kommt die Strafe? Doch: Unglaubliches geschieht! Keine Strafe folgt, keine Vorwürfe prasseln auf ihn nieder. Es folgt nicht Verachtung, sondern Vergebung. Gott vergibt, hat vergeben. Schon das Rufen zu Gott hatte den Betenden aufgerichtet. Wer zu Gott ruft, richtet den eigenen Blick, richtet den Körper auf und damit die eigene Haltung neu aus, hin auf das Du.
Gott begegnet mir vergebend, mich aufrichtend, mich aus meiner gekrümmten Haltung, meiner Nabelschau befreiend. Mich neu befähigend zur Gemeinschaft. So verhält sich Gott gegenüber dem schuldig Gewordenen. Das löst bei ihm ein Ehr-fürchten aus, keine Angst, sondern ein Erstaunen über Gott, ein sich Ausstrecken zu Gott hin.
Die menschliche Wirbelsäule ist in zwei S-Kurven natürlicherweise geformt. Das macht sie belastbar und fängt beim Bewegen Erschütterungen ab. Je älter ich werde, umso stärker krümmt sich die Wirbelsäule. Biologisch lässt es sich kaum aufhalten. Doch im Glauben sieht es anders aus. Gott richtet Gebeugte auf im Vergeben, lässt mich neu aufschauen zu meinem Gegenüber, lässt mich aufleben in Ehrfurcht.
Die Autorin ist Direktorin des Predigerseminars Wittenberg.
Autor:Online-Redaktion |
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