Israelsonntag
Ein Judenhut für Jesus
Am Israelsonntag wird an die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens erinnert. Jesus war wie seine Jünger Jude. Seine Lehren wurzeln in der jüdischen Glaubenstradition und der hebräischen Bibel.
Von Teja Begrich
"Haben Sie auch eine Judensau?“ Enttäuscht wenden sich die Besucher ab, als ich verneine. „Nein, eine Judensau haben wir im Havelberger Dom nicht, dafür müssen Sie nach Brandenburg. Aber wir haben andere Antijudaismen.“ Und schon präsentiere ich Judenhüte und schweinsköpfige Grimassen auf mittelalterlichen Fenstern oder antijüdische biblische Darstellungen am 623 Jahre alten Lettner. Antijudaismus ist in! Kunsthistorisch natürlich nur. Die Debatte um die Judensau, die in Wittenberg von Landesbischof Friedrich Kramer trefflich Luthersau genannt wird, erzeugt so viel mediale Aufmerksamkeit, dass eine fehlende Schmähplastik an anderen Kirchen für Enttäuschung bei Besuchern sorgt.
Das haben wir als Kirche, ganz ohne jede Kampagne, irgendwie gesellschaftlich hinbekommen, dass Kirche und Antijudaismus zusammengehören. Jedenfalls kommen wir mit antijüdischen Darstellungen gut ins Gespräch und in die Öffentlichkeit. Die Documenta hat das ja im letzten Jahr auch bewiesen. Und gerade streiten sich Sachsen-Anhalt und Thüringen darüber, wer aufgrund der größeren antisemischen Traditionen geeignet sei für ein neu zu gründendes Deutsch-Israelisches Jugendwerk. Bisher gab es mit "ConAct" in Wittenberg, der Lutherstadt, das einzige Koordinierungszentrum Deutschlands für deutsch-israelischen Schüleraustausch. Das neue Werk sollte dort angesiedelt werden.
Da wacht Thüringen auf und bringt Weimar in Position. Als Ort früherer Verbrechen eigne sich Weimar nun gerade im Besonderen für Völkerverständigung, heißt es aus der Thüringer Staatskanzlei. – Was ist hier los? Wetteifert hier Luthers Antijudaismus gegen den Antisemitismus der Nazis mit dem Vernichtungslager in Buchenwald? Ist Antisemitismus auch in? Natürlich, was die Anzahl der antisemitischen Übergriffe angeht, und natürlich nicht, was die allgemeine Ächtung dieser angeht.
Und dann kommt das Kirchenjahr mit dem 10. Sonntag nach Trinitatis. Der Israelsonntag. Der Sonntag im Kirchenjahr, an dem die bleibende Verbindung von Christen und Juden ins Zentrum gestellt wird. Diese bleibende Verbindung finden wir an unseren Kirchen in Stein gemeißelt für die Ewigkeit, doch meistens nicht sehr freundlich. Einmal wenigstens soll aber in allen Kirchen darüber nachgedacht werden: Was bedeutet es, dass Jesus Jude ist? Und warum ist Jesus auf den mittelalterlichen Darstellungen nie mit Judenhut zu sehen?
Offensichtlich hat sich die Kirche ihres jüdischen Gründers geschämt. Einmal im Jahr wenigstens soll der Judenhut auch auf Jesu Kopf gelangen und damit auch in unsere Köpfe. Unsere Kirchenbauten predigen so viel Antijüdisches, dass wir davon nie loskommen, und unsere Köpfe auch nicht. Ein jüngstes Beispiel war die Verwendung des Alten Testaments als Negativfolie gegenüber dem Neuen bei der Abschlusspredigt des Kirchentages: Jesu Ansage, dass „jetzt die Zeit ist“, soll auf dem Rücken des Alten Testaments, „dass alles seine Zeit hat“, um so drängender wirken. Sonntage wie diese, an denen Jesus ein Judenhut aufgesetzt wird, sind bitter nötig. Für uns. Für uns Christen. Wir gedenken an diesem Sonntag der bleibenden Verbindung zwischen Christen und Juden jedoch nicht wegen der Vergangenheit, nicht wegen all der Skulpturen, der Ausfälle Martin Luthers oder der Nationalsozialisten, sondern wegen der Gegenwart.
Wir machen das für uns und unser Leben mit all diesen alten Symbolen. Darum: Nutzen wir sie einfach! Setzen wir Jesus einen Judenhut auf und nie wieder ab! Jesus ist Jude. Und wir Christen können ohne Judentum nicht sein.
Der Autor ist Pfarrer im Sprengel Havelberg und war Beauftragter für den jüdisch-christlichen Dialog der mitteldeutschen Landeskirche.
Autor:Online-Redaktion |
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