Predigttext zum Sonntag
Erbarmen für alle
Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen … Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“
Römer 11, Verse 29 und 32
Der Israelsonntag 2020 ist ein ganz besonderer. Er steht unter dem Eindruck des Prozesses gegen den Attentäter von Halle. Am Jom Kippur 2019 überfiel Stephan B. die Synagoge in Halle. Die Tür hielt stand – die Betenden in der Synagoge blieben behütet. Gott sei Dank! Zwei Menschen erschoss Stephan B. in seiner rasenden Verblendung.
Im Schatten des Attentats von Halle steht die Frage: Wie leben wir Menschen unterschiedlicher Religionen und Überzeugungen in Deutschland zusammen? Was wissen wir überhaupt voneinander? Christen und Juden?
Das Verhältnis beider Religionen könnte man mit einem Nachbarschaftsverhältnis vergleichen: Seit Jahren sind wir Nachbarn. Unsere Hausgärten grenzen aneinander. Der Gartenzaun ist nicht hoch und drüber schauen keine Kunst. Irgendwann kamen wir ins Gespräch. Sehr verhalten, auf Abstand und auch erstmal nur über das Wetter und die Blütenpracht in den Gärten. Noch ist der Zaun eine Grenze, aber inzwischen halten wir uns an ihm fest, denn die Gespräche dauern länger. Wir kommen uns näher und respektieren unsere Unterschiedlichkeit. Noch einmal gefragt: Was wissen wir Christen von unseren Nachbarinnen in den jüdischen Gemeinden?
Wir halten uns immer gern für klug und belesen und sind doch voller Ressentiments! Genau davor warnt uns der Apostel Paulus im Brief an die Römer. Er nimmt uns an die Hand und erinnert daran, dass das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten Volk ein Geheimnis ist. Der Bund Gottes mit seinem Volk ist und bleibt bestehen, denn Israel ist das auserwählte Volk Gottes, und wir als christliche Gemeinde leben auch aus der Kraft dieser göttlichen Erwählung. Wir sind ein Zweig, eingepfropft und getragen und ernährt aus der Wurzel des Volkes Gottes.
Wenn auch das Verhalten des Volkes Israel zur Christusbotschaft porös und spröde ist, wie Paulus es beschreibt, Gott bedauert weder seine Gaben noch seine Berufung an und in seinem Volk. Vielmehr ist uns allen Ungehorsam und Widerstand gegen Gott zu eigen, aber sein Erbarmen überwindet alles. Das demütig erkennend, lässt uns miteinander ins Gespräch kommen und Gottes Türen in den Zäunen entdecken. Sie öffnen weite Räume!
Annegret Friedrich-Berenbruch, Kreisoberpfarrerin in Dessau
Autor:Online-Redaktion |
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