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Zwischenruf
Impfpflicht – eine pastorale Herausforderung

Mit der politisch anvisierten Impfpflicht stellen sich neue pastorale Herausforderungen.

von Werner Thiede

Die allseits unbestrittene Spaltung der Gesellschaft erhält neue Risse und Vertiefungen, und das betrifft zahlreiche christliche Gemeinden, Freundschaften und Familien. Depressionen und Ängste vertiefen sich, Einsamkeit, Verbitterung, ja Verzweiflung nehmen zu. Wie sollen Seel­sorger und Prediger mit der sich zuspitzenden Situation umgehen, ohne die eine oder andere Seite zu enttäuschen oder zu verprellen?

In erschrecken­dem Maße ist das Vertrauen in die Wahrheit medialer Botschaften verloren gegangen: Fake News, Lüge, Irrtum, Manipulation – so lauten die Vor­würfe an die Adresse der jeweils Anders­denkenden. Was ist von den nicht immer übereinstimmenden Ergebnissen und Ratschlägen aus der Wissenschaft zu halten? Wer klärt wen mit Recht oder zu Unrecht auf? Weil sich vieles für den Normalbürger nicht so einfach überprüfen lässt, werden offi­zielle Aus­künfte womöglich fast ebenso wie verschwörungstheoretische Mythen zur Glau­bensfrage.

Die allgemeine Impfpflicht ist juristisch sehr um­stritten. Auffällig bleibt der öffentliche Meinungsumschwung bald nach der Bundestagswahl: Wie konnte es sein, dass einst Kanzlerin Angela Merkel im Einklang mit führenden Politikern uneingeschränkt garan­tierte, in dieser Pandemie werde keine generelle Impf­pflicht kommen? Der Jurist und eins­tige Innenminister Otto Schily (SPD) unterstreicht, in einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demo­kratie dür­fe sich der Staat nicht anmaßen, dem Einzel­nen eine be­stimmte ärztliche Behand­lung aufzu­zwingen; das gelte umso mehr angesichts der Tatsache, dass es sich um neu entwi­ckelte Impf­methoden handele, deren Langzeitfolgen keineswegs ab­schließend verlässlich be­urteilt wer­den könnten: „Eine allgemeine Impfpflicht ist schlicht verfassungswidrig.“ Ähnlich betont der Virologe und Bioethiker Alexander Kekulé, kein seriöser Wissenschaftler kön­ne ausschließen, dass in Zukunft Nebeneffekte ent­deckt werden, die mit den heutigen Kenntnissen über das menschliche Immunsystem nicht vorhersehbar waren. Wer daher Angst vor der Impfung habe, dürfe nicht dazu „verpflich­tet“ werden. Auch der Medizinethiker Axel Bauer von der Universität Mannheim und der Virologe Hendrik Streeck äußern deutliche Vorbehalte gegen­über einer generellen Impfpflicht.


"Auf den Kanzeln ließe sich für bedachtsames, nicht übereiltes und gewaltfreies Vorgehen werben"

Allenthalben sticht das Argument einer jetzt besonders notwendigen Solidarität. Indes – wie soli­darisch wäre es, per Impfpflicht mit angedrohten hohen Strafzahlungen just die Ärmeren unter den Skep­tikern in Not oder Bedrängnis zu treiben? Das „Gemeinwohl“ als moralisierendes Argu­ment ins Feld zu führen, sticht zudem angesichts der genannten Hinweise namhafter Wissenschaftler auf mögliche Langzeitfolgen nicht: Würden sich solche später einmal tatsächlich einstellen, wäre im Falle einer generellen Impfpflicht der Schaden am Gemeinwohl jedenfalls erheblicher.

Hinzu kommt, dass inzwischen Medikamente gegen schwere Verläufe von Covid-19 zugelassen sind – und dass auch alternative Impfstoffe verfügbar werden, die es etlichen Impf-Skeptikern leichter machen dürften, ihre Vorbehalte aufzugeben. Damit rechtfertigt das Gesamt-Szenario eine allgemeine Impfpflicht keineswegs als jenes „absolut letzte Mittel“, als das die Weltge­sund­heits­orga­nisation (WHO) eine Impfpflicht ansieht. Von deren Einführung sollte deshalb abgesehen werden – womit auch verlorenes politisches Vertrauen wiederhergestellt würde.

Auf den Kanzeln und in seelsor­ger­li­chen Gesprächen ließe sich für bedachtsames, nicht übereiltes und gewaltfreies Vorgehen werben – insbesondere für mehr Dialogbereitschaft auf allen Seiten. Dabei darf kirchlich nie die eigentliche Botschaft mit ihren Tröstungen fehlen. Von daher wäre abstrusen Ängsten entgegenzutreten wie etwa der, dass eine Corona-Impfung sogar noch nach dem Tod Folgen haben werde, was derzeit ein esoterisches Buch verbreitet. Vielmehr gilt mit Psalm 23: „Und ob ich schon wanderte im fin­stern Tal, fürchte ich kein Unglück … Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immer­dar.“

Der Autor ist außerplanmäßiger Theologieprofessor und Pfarrer im Ruhestand.  

Autor:

Online-Redaktion

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