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Zwischenruf
Israels Zerreißprobe

Wenn es von außen angegriffen wird“, so hört man in diesen Tagen oft, „hält Israel im Inneren zusammen.“ Sicher stimmt das für riesige Spendenaktionen an die Armee oder für Reservisten, die sich freiwillig zum Dienst melden. Doch schon bei der sogenannten Einheitsregierung, die sich am vergangenen Mittwoch um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu formte, hört die Einheit auf.

Von Valentin Schmid

Ausgerechnet der Oppositionsführer Jair Lapid schloss sich dem Kriegskabinett nämlich nicht an. Er wolle nicht gemeinsame Sache machen mit rechtsreligiösen Politikern, die seiner Ansicht nach für das Versagen verantwortlich sind. Lapid wirft damit Licht auf eine Konfliktlinie, die nicht an Israels Grenzen, sondern in seinem Inneren verläuft: die Spaltung zwischen Teilen der religiösen und der säkularen Bevölkerung.

Die Hamas-Terroristen hatten wohl auch deshalb so leichtes Spiel, weil mehrere Bataillone der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) von Gaza ins Westjordanland verlegt waren. Während der Feiertage schützen sie dort die religiösen Siedler, wohingegen sich die überwiegend säkulare Bevölkerung der Kibbuzim entlang des Gazastreifens zurecht im Stich gelassen fühlt.

Daran anknüpfend: Mit dem Einzug von 300 000 Reservisten hat die Armee den Großteil ihrer Kapazitäten ausgeschöpft. Das gießt Öl in eine bereits erhitzte Debatte: Ultraorthodoxe Juden sind vom Militärdienst befreit.


"Doch nur als äußerlich souveräner Staat kann Israel auch innerlich wieder heilen"

Als Staatsgründer David Ben-Gurion vor über 70 Jahren diese Ausnahme schuf, betraf sie rund 400 Menschen. Ende 2023 werden die Ultraorthodoxen jedoch schon gut 16 Prozent der Bevölkerung ausmachen. 16 Prozent, die in der Armee fehlen und von anderen Gesellschaftsteilen kompensiert werden müssen.

Eine weitere inner-israelische Debatte dürfte um die Geiseln im Gazastreifen entstehen. Ein Blick ins Jahr 2011 zeigt die Dramatik. Damals entließ Israel ganze 1027 Palästinenser aus der Haft, um den 2006 von der Hamas entführen Soldaten Gilad Schalit zu befreien. Darunter war auch der heutige Hamas-Führer Yahiya Sinwar. Der umstrittenen Entscheidung gingen Jahre des Protestes voraus, mit denen Tausende Israelis die Netanjahu-Regierung schlussendlich zum Einlenken zwangen.

Können wir Israel in diesem Konflikt helfen? Wohl kaum. Doch neben der militärischen und der gesellschaftlichen Konfliktlinie gibt es mindestens noch eine dritte. Sie durchzieht die Medien. „Ihr müsst bekanntmachen, was da geschieht!“, antworten Israelis auf die Frage, welche Unterstützung sie von außen brauchen.

Sie wissen: Je länger der Krieg dauert, je mehr Schreckensbilder wird es aus dem Gazastreifen geben. Bilder, die der Hamas in die Karten spielen und Israel schlecht dastehen lassen. Doch nur als äußerlich souveräner Staat kann Israel auch innerlich wieder heilen.

(idea)

Der Autor studiert Judaistik an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Autor:

Online-Redaktion

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