Nicht zugrunde richten, sondern aufrichten
Wort zur Woche Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.
2. Korinther 5, Vers 10a
Da sind wir wirklich fix, im Urteil über andere. Ein kurzer Blick reicht: Die ist unfähig. Der hat die falsche Meinung. Wir wissen schon, in welche Schublade er gehört. Und unser Urteil ist schnell gefällt. Nicht weniger streng gehen wir oft auch mit uns selbst um. Sitzen scharf zu Gericht, weil wir nicht so sind, wie wir eigentlich sein wollen. Weil wir den gängigen Vorstellungen nicht entsprechen. Die eigenen Erwartungen nicht erfüllen. Der erbarmungslose Blick auf uns selbst verstellt uns auch den barmherzigen Blick auf andere. Der Wochenspruch unterbricht diese Prozesse und sagt:
Komm runter von deinem Richterstuhl! Es ist nicht an dir, zu urteilen. Überlass das Gericht über dich und das Leben der anderen allein Gott. Diese Neuzuordnung hebt das Richten nicht auf. Denn wie schrecklich wäre die Vorstellung, wenn Unrecht nicht aufgedeckt, nicht offengelegt würde. Was an schlimmen Dingen passiert, kann nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Opfer wissen das genau: Es gehört zur Menschenwürde, dass sich Menschen für das, was sie tun, auch verantworten müssen. Und Schuld als solche benannt wird.
So bleibt das Richten eine notwendige Sache. Doch vor dem Richterstuhl Christi gelten eigene Maßstäbe. Dieser Richter richtet anderes als wir Menschen. Deutlich wird das an der Bedeutungsfülle des Wortes "richten". Es meint nicht nur das Urteil, das über einen Menschen gefällt wird. Vielmehr soll ein Mensch, der auf verkehrtem Wege ist, wieder neu ausgerichtet werden, auf die richtige Bahn kommen.
So stelle ich mir Gottes Gericht vor: Am Ende werde ich klar vor Augen sehen, was in meinem Leben gut und hilfreich war. Und zugleich auch das, was ich meinen Nächsten schuldig geblieben bin. Wo ich andere verletzt habe. Was ich unterlassen habe. Ich werde es deutlich sehen, in aller Klarheit, im Augenblick der größten Wahrheit. Aber Gott will mich nicht zugrunde richten, sondern aufrichten. Und so hoffe ich darauf, dass auch sein Gericht mich nicht von seiner Liebe trennt.
Propst Tobias Schüfer, Meiningen-Suhl
Autor:Online-Redaktion |
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