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Predigttext zum Sonntag
Spiegel der Klarheit

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Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden.
Jesaja 38, Vers 12

Eine Diagnose wie ein Schlag ins Gesicht. Von einem Moment auf den anderen fällt die Welt in Scherben. Die Worte, die ihm bleiben, sind ein Gebet. Und sie versiegen in heißen Tränen der Verzweiflung.

Es ist Hiskias Geschichte, und es ist die Geschichte so vieler nach ihm. In diesem Spiegel gibt es den Menschen nur ungeschminkt. Hiskia sieht sich ohne den Schmuck seines Königamtes, bedeutungslos sind seine politischen Bemühungen und die Kraft seiner Jugend. Es bleibt die pure, gefährdete Existenz. Angst und Ausgeliefertsein. Ihm, dem König, bleibt nicht einmal das Zelt eines Hirten. Der Lebensfaden droht abgeschnitten zu werden. Hiskia fühlt sich preisgegeben, schutzlos. Im Spiegel des nahen Todes sieht sich der König als der Mensch, der er ist.

Und ich stehe neben ihm – in all den Momenten, in denen ich die Augen nicht verschließen kann vor dem, was ist. In all den Momenten, in denen das Leben sich als zerbrechlich und ungeschminkt erweist. In den Momenten, in denen das bergende Zelt fehlt und Fäden der Sicherheit lose werden.

Aber Hiskia scheint in diesem Spiegel der Klarheit noch etwas anderes wahrzunehmen: die Spuren Gottes. Ihm wirft er es hin, das ungeschminkte Elend, das er noch in sein Gesicht eingezeichnet sieht, als er es längst überstanden hat. Ja, Hiskias Geschichte geht gut aus, ihm werden noch 15 Jahre geschenkt. Sein Lied darf von der Klage zum Lob wechseln. Fast ein bisschen zu heil wäre dieses Ende angesichts all der Geschichten, die anders ausgehen, wäre da nicht die Tiefe in Hiskias Augen, die den Blick in den Spiegel der Klarheit getan haben.

Das neu angestimmte Lob ist keins, das nicht vom Abgrund der Klage wüsste. Hiskia darf sich noch einmal die Krone aufsetzen. Darf sich noch einmal vom Spiegel des nahen Todes abwenden und dem Leben ins Gesicht sehen. Er sieht es jetzt anders, gewiss. Er hat ja den Spiegel im Rücken. Das Wissen um das Zerbrechliche. Aber da ist auch das Gefühl von Vertrauen. Das Wissen um Gott, der zu erkennen war, irgendwie und trotzdem. Das Gebet, das sich wieder und wieder Gottes Nähe einfordert. All das bleibt für Hiskia. All das bleibt für mich. 

Teresa Tenbergen, Pfarrerin in Weimar

Teresa Tenbergen, Pfarrerin in Weimar | Foto: privat
Autor:

Online-Redaktion

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