Predigttext
Tiefes Erbarmen
„Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn.“
Lukas 10, Vers 33
Für die ersten Hörer war es ein Affront und eine riesige Irritation, wie sich die Personen im Gleichnis verhielten. Die beiden Juden ließen ihren Glaubensbruder im Dreck liegen und gingen vorbei.
Von Friedemann Liebscher
Der verachtete Samariter, ein Fehlgeleiteter, Verachteter und falsch Glaubender, er verhielt sich richtig und erfüllte, was vom Gesetz gefordert wurde, während Priester und Levit, gerade aus Jerusalem vom Tempel, von Gott her, kommend, falsch handelten. Der Fremde, der Feind zeigt Barmherzigkeit, während die eigenen Leute vorbeigehen.
Das gibt es doch nicht! Etwas von der Empörung über diese Geschichte und die so herzlose Handlung der Personen in ihr, kann man an der Antwort des Schriftgelehrten auf die Frage: „Wer ist der Nächste gewesen?“ erahnen. Er spricht den Namen: „Samariter“ nicht aus, sondern umschreibt ihn.
Was unterscheidet aber die drei Personen voneinander? Alle kommen am Opfer des Überfalls vorbei, alle sehen ihn und seine Not, aber nur einer lässt sie sich zu Herzen gehen. „Es jammerte ihn.“ So übersetzt es die Lutherbibel. Man könnte auch sagen, das Leid dieses Menschen ging ihm an die Nieren. Es zieht sich in ihm alles zusammen. Denn das griechische Wort bedeutet ein tiefes Erbarmen, das so groß ist, dass man es körperlich spüren kann. Aus diesem erbarmenden Blick heraus kommt die Hilfe des Samariters, er kann es einfach nicht mit ansehen, er muss helfen. Aus dem Sehen entsteht Mitleid, das zur Tat wird. Das ist Nächstenliebe: Sie sieht, fühlt mit und handelt.
Auffällig ist, dass dieses Wort für das Erbarmen des Samariters in den Evangelien sonst nur für Jesus und Gottes Verhalten und Fühlen gegenüber uns Menschen benutzt wird. In Jesus erbarmt sich Gott über unsere Not. In ihm werden Gottes Gefühle gegenüber uns sichtbar. Es ist ihm nicht egal, wenn er uns leiden sieht. Es trifft und schmerzt ihn. Er geht nicht an uns vorbei, sondern in Jesus ist er gekommen, um uns zu heilen.
Da, wo ich selber diese Liebe erlebe, verändert sie mich. Da sehe ich nicht mehr weg, sondern hin. Lasse nicht mehr mein Herz hart werden, weil die Welt eben so ist, sondern werde empfindsam für die Not anderer. Da lege ich die Hände nicht in den Schoß, weil ich sowieso nichts ändern kann, sondern greife ein, weil Gott bereits am Handeln ist.
Der Autor ist Pfarrer in Marienberg.
Autor:Online-Redaktion |
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