Interview
Was Kirche von Fußball lernen kann
Die Atmosphäre im Fußballstadion ist unvergleichlich. Könnte es nicht auch in
unseren Gottesdiensten so spannend sein? Dazu ein Interview mit Christoph
Markschies. Mit ihm sprach Willi Wild.
Wieviel Religion steckt im Fußball bzw. Fußballspielen?
Markschies: Es steckt jedenfalls recht viel Religionsersatz im Fußball: Fans pilgern zu einem Stadion wie zu einem Wallfahrtsort. Ein verschwitztes T-Shirt eines Spielers hält man wie eine Reliquie in Ehren. Beim Spiel wird gesungen wie sonst praktisch nur noch in der Kirche oder im Chor. Es gibt geschlossene Fan-Abteilungen auf Friedhöfen: Die enge Gemeinschaft beim Fußball reicht bis in den Tod. Fans eines Berliner Vereins nennen ihren Klub »Unsere Liebe«, Glauben und Hoffnung brauchte man, wenn man für die deutsche Mannschaft war vor ihrem Ausscheiden.
Was fasziniert Sie als Theologe an dem WM-Geschehen?
Markschies: Ich erlebe beim Zuschauen mit anderen Menschen eine begeisterte Gemeinschaft über alle sozialen, religiösen und politischen Grenzen hinweg, ich erlebe tiefen Enthusiasmus, aber ebenso auch tiefe Verzweiflung. Das volle Leben. Und ich beobachte mindestens bei einzelnen Vereinen eine Ersatzreligion bei Menschen, die ihre Religion verloren haben oder nie eine besessen haben.
Inwieweit ist die Atmosphäre im Stadion mit der in einer Kirche vergleichbar?
Markschies: Stadion ist vielleicht besser mit einem Kirchentag vergleichbar: Es gibt Rituale im Blick auf Gesänge, Hinsetzen und Aufstehen, bei der Kleidung (alle Schals sehen gleich aus …), wenn etwas passiert, reagieren alle Fans gemeinsam, eine enge Gemeinschaft von Menschen ist spürbar, die sich eigentlich gar nicht näher kennen. Ein Fest mitten im Alltag.
Kann in einem Gottesdienst die Spannung eines Fußballspiels erzeugt werden?
Markschies: Abgesehen von Kirchentagen und Jugendgottesdiensten sollte die spezifische Spannung eines Fußballspiels nicht im Gottesdienst erzeugt werden – wer will schon Feuerwerkskörper von der Empore geworfen haben? Aber im Blick auf die Intensität, mit der das Geschehen Menschen ganz unmittelbar anspricht, gibt es schon Vergleichspunkte: Gottesdienst sollte jedenfalls nicht langweilen.
Was kann Kirche von Fußball lernen?
Markschies: Dass wir beim Gottesdienst in etwas über sechzig Minuten alles geben sollten und doch von uns allein nur wenig abhängt. Dass man viele Menschen für eine Sache begeistern kann. Und – aktueller Kommentar zur deutschen Mannschaft – dass alles verloren ist, wenn man lustlos und müde versuchen würde, Kirche Jesu Christi zu sein.
Ein Fußball-Fan erklärt in drei Sätzen seinen Glauben. Geht die christliche Botschaft der Jesus-Fans auch so einfach?
Markschies: Wir müssen in jedem Fall wieder mehr lernen, christlichen Glauben einfach zu kommunizieren und dabei doch nicht banal zu werden. Wenn es sein muss, auch in drei Sätzen. Ein paar mehr wären besser.
Ist es Zufall, dass viele Fußball-Spieler religiös sind und daraus keinen Hehl machen?
Markschies: Wenn es um das Ganze geht, wenn man in kurzer Zeit alles geben muss, was man hat, dann wird Menschen schnell deutlich, dass sie es ganz allein nicht schaffen mit dem Leben.
Dann wird klar, dass wir alle auf die Hilfe dessen angewiesen sind, der sie ins Dasein gerufen hat und darin mit seiner gnädigen Hand hält.
Wie haben Sie das enttäuschende Abschneiden der deutschen Mannschaft erlebt?
Markschies: Ärgerlich darüber, dass hochbezahlte Profis so müde und
lahm spielen.
Wie sollte man mit dieser Enttäuschung umgehen?
Markschies: Schwer enttäuschte Menschen können im Sport ebensowenig wirklich getröstet werden, wie es dort Hoffnung gibt, die für mehr als ein Spiel reicht. Wer wirklichen Trost sucht und Hoffnung, die über ein Leben hinaus trägt, sollte in unsere Gemeinden eingeladen werden. Die anderen müssen auf Trainer- und Spielerwechsel hoffen …
Autor:Online-Redaktion |
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